Myrddin
eine Renaissance erlebt, der nichts weiter getan hatte, als einem alten Mann einen Job zu geben, der eines kalten Januarmorgens mit seinen Tieren vor ihm gestanden und ihn Herr genannt hatte.
Ganapathy hatte in seinem Leben hart gearbeitet. Er hatte sich die schönsten lyrischen Geschichten ausgedacht und in seinem Tagebuch poetische Bilder festgehalten, die seinen Phantasiereichtum belegten. Er hatte für die Menschen gespielt, hatte sie gekitzelt und berührt – und er war Ganymed der Clown geblieben.
Jetzt war Ganapathy der Jupitermond Ganymed und hatte nur sein Herz geschont. Dafür hatte er einmal in seinem Künstlerleben einem Zauberer bei seinem Handwerk zusehen dürfen. Er hatte Myrddin geschminkt. Er hatte ihm sein Kostüm geliehen. Und er selbst war um seinen Auftritt gebracht worden, da er die Antwort auf ein Rätsel nicht finden konnte. Die Welt bestürmte ihn wegen der Kunst eines anderen, und das bedrückte ihn. Er, Maynard Ganapathy, war zum Schwindler geworden, hatte seinen Namen hergegeben – war aber niemals ein Jupitermond gewesen, noch würde er in Kallisto einen Bruder finden, an den er seine Bierdose hängen könnte. Er blieb nur Ganymed, der Clown, der fast erblindet war, dem sein Landwein schmeckte und der für das Gnadenbrot des alten Tigers aufkommen wollte. Er war der Clown der kleinen Leute geblieben, der immer zu spät gekommen war.
Und als er mit Myrddin sprechen wollte, hatte ihm das auf seiner Suche nach sich selbst nicht weiterhelfen können. Myrddin hatte nur gelächelt, hatte sich von ihm abschminken lassen und war mit seinen Tieren und Puppen gegangen, bevor der Ansturm von Reportern und Fans, die Autogramme von ihm auf ihren billigen Eintrittskarten haben wollten, über ihn hereinbrach. Ganymed, das war nicht mehr er – sondern er selbst war nur noch Kallisto, der Unbeschienene, der glanzlose Bruder Ganymeds, den Jupiter zu vernachlässigen begann. Ganapathy selbst war in den Bann Myrddins gezogen worden und mußte seine Lebensweise neu ordnen, da sie nicht mehr zuzutreffen schien. Er hatte erlebt, wie ein einzelner Mensch eine Menge der Zuschauer wie einen Schneeball formen konnte, der in seinen Händen alsbald schmolz und den er achtlos weggeworfen hatte. Und als er mit Myrddin sprechen wollte, wollte der sich nur um seine Tiere kümmern, ließ den Clown allein, gab ihm sein Gesicht zurück und schwieg sich aus. Myrddin hatte einem anderen Ruhm in die Hände gelegt und ließ ihn damit allein – doch Ganapathy konnte damit allein nicht fertig werden.
Bevor der Zauberer in die Nacht gegangen war, hatte er dem Clown nur gesagt, daß er eine Freundin erwarte, die sicherlich kommen werde. Und bis dahin hätte er den Menschen nichts zu sagen, es sei denn, Ganapathy könne ihm die Lösung auf sein Rätsel verraten. Myrddin wollte seinen Arbeiten nachgehen und die Ruhe der Nacht genießen dürfen, die jenseits der Menschen lag.
Obwohl Myrddin Ganapathy unheimlich wurde, empfand der Clown eine Verehrung und Bewunderung für ihn, wie er sie für noch keinen Menschen empfunden hatte. Doch weshalb wollte der alte Mann nicht sprechen? Gab es nichts zu sagen, gerade jetzt, da sie mit Angeboten überhäuft wurden? Wer konnte entscheiden, was man tun sollte, wenn nicht der alte Mann mit den zwei Grauwölfen und dem Hirsch?
XXXVI
Vier Wochen waren vergangen, seitdem Myrddin in Blackford erschienen war. Sie waren nach der Vorstellung in Huddersfield nach Nothampton aufgebrochen, und es war dem Ensemble ein Rätsel, zu welchem Ruhm ihr kleiner schmuckloser Wanderzirkus durch seinen Clown gekommen war. Aber sie freuten sich nicht nur über das Erreichte, sondern entzielten sich in einer Herrlichkeit. Sie genossen den Abglanz ihres Ganymeds, der auch einen matten Schein auf ihre stümperhaften Versuche warf. Sie träumten von einer furiosen Tierschau, die ihrem Zirkus gerecht werden sollte. Ein Zweimaster als Zelt reichte nicht mehr aus, um das Publikum, das sie sich erträumten, fassen zu können. Shenann hatte bereits ein größeres Zelt bestellt, das spätestens in Bristol aufgebaut werden sollte. Die einfache Wäsche der Zugmaschinen und Wohnwagen war nicht mehr genug. Sie mußten mehrfach geschrubbt und anschließend hartversiegelt auf Hochglanz gebracht werden. Sie merkten plötzlich, daß an ihren Kostümen Knöpfe fehlten, die schon immer gefehlt hatten, und entdeckten Fältchen in ihren Gesichtern, die über die schweren Jahre entstanden waren, die nun jedoch mit Make-up verdeckt
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