Myrddin
Schabernack zu durchschauen?“ lachte er schallend in die schneereiche Nacht, so daß sogar Carus erschrak.
Merlin schüttelte nur den Kopf und Carus rückte dichter an ihn heran. Die Geschichten, die ihm die Dohlen erzählt hatten, sollten die Menschen einmal hören, dachte Merlin. Vielleicht kämen sie dann auf andere Gedanken.
„O Merlin, darf ich dich etwas fragen?“ fragte Carus bescheiden.
„Nur zu, mein Freund.“
„Hast Du den Bären wirklich Erbsenhirn genannt?“ fragte der Wolf verlegen den lachenden Zauberer.
„Ja, Carus. So habe ich ihn genannt. Und wie mir scheint, ist er nicht der einzige, der dieses stolze Attribut verdient“, erwiderte Merlin und dachte an die Menschen und ihre privilegierte Lebensart.
Was wäre die Welt, gäbe es wahrhaft einige Millionen Menschen, wie er gehört hatte, auch wenn die Zahlen nicht verläßlich waren, da Tiere ein gespaltenes Verhältnis zur Erfassung großer Mengen hatten – auch die Vanyar zählten nur bis zwei … doch gäbe es so viele Menschen … Menschen, wie sie Menschen sein könnten, die ihre Ideen und ihren Glauben schamlos leben könnten … wie wäre diese Welt reich, in die er aufgebrochen war. Wie wäre sie bunt, vielseitig, weise, abenteuerlich und gefahrvoll. Und was wäre ein Leben ohne jene Gefahr? Was wäre ein Leben wert, das keinen Streit kannte? So regelt der eine das Leben des anderen und gibt ihm GUT und BÖSE als Orientierungshilfen mit auf den Weg. Böse ist der Mensch, der nicht spurt. Und das Böse wird isoliert. Gut ist er, wenn er sich innerhalb bestimmter Toleranzen bewegt, die ihn jedoch als Individuum unkenntlich machen. Aber dafür wird er mit einem Bonbon belohnt, dachte sich Merlin schmunzelnd. Ach ja … und die Bestrafungen, fiel es ihm ein. Daß sie sich das gefallen lassen?!
Er grinste, rutschte tiefer unter seine Decke, sah zu den Wölfen, die er im dichten Schneetreiben nicht mehr auseinanderhalten konnte, und sah das majestätisch schwankende Geweih von Hörn. Das war seine freie Welt, eisigkalt und doch klar. Und es war an der Zeit, daß er die Zeichen bewährter Freiheit, wie er sie verstand, aus der Welt nahm, meinte er. Doch was würde das bedeuten? Und wann würden die Elfen kommen? Waren sie überhaupt auf dem Weg? Und wären sie es: was würden sie von ihm wollen? Das fragte sich Merlin im stillen. Weshalb blieben sie nicht in Tirion, ihrer strahlenden Stadt, die sie wieder aufgebaut hatten? Und was würde sich in seinem Leben verändern?
Merlin dämmert über seinen Gedanken ein, sprang über Seen und rief einen Fährmann, sah die Tudors Englands Macht an sich nehmen und dachte an die strahlenden Kreideklippen von Dover, die er einstmals gesehen hatte, bevor er in Unergründlicheres sank und, geschaukelt von der HAMAMELIS, in tieferen Schlaf fiel.
IX
Merlin wachte mit einem Schrecken auf und wußte weder, was geschehen war, noch wo er sich befand. Die HAMAMELIS wurde nicht mehr über das Eis gezogen und die Tiere lagen kauernd neben der Nußschale. Dichter Schneefall hatte ihn und die Tiere bedeckt, die schon länger neben dem Boot liegen mußten. Offenbar hatte Hörn ihn angestoßen und langsam kam Merlin zu sich. Es mußte einer der Tage gewesen sein, aber der Horizont war grau und die Wolken waren in dem dichten Schneetreiben nicht zu sehen. Flocken fielen aus dem Wind und die größte Weite, die er sehen konnte, war keine zwanzig Meter entfernt. Aber warum hielten die Tiere ängstlich ein? Und weshalb weckte Hörn ihn?
„Merlin, hörst du nichts?“ fragte Hörn unerschrocken und drängte ihn, endlich zu Sinnen zu kommen.
Merlin gähnte und schlug das Fell zurück, baumelte mit seinen Beine über die niedrige Bordwand und überlegte, ob es etwas zu hören gab, von dem Hörn meinte, dass er es hören sollte. Dann sagte er benommen: „Nein.“
„Dann komm aus dem Boot auf das Eis und spüre es“, bat Hörn unnachgiebig.
Merlin rutschte aus seinem Boot und empfand durch seine Fellstiefel plötzlich eine Vibration im Eis, die in gleichmäßigen Wellen unter dem Schnee zu verlaufen schien. „Ja, jetzt spüre ich ein kaum wahrnehmbares Beben im Eis. Meinst du das, Hörn? Was kann das nur sein …?“ fragte Merlin Melchor, der es sich aber auch nicht erklären konnte. „Habt ihr euch verirrt?“ fragte Merlin sichtlich beunruhigt weiter. „Seid ihr vielleicht vom Kurs abgekommen, während ich geschlafen habe?“ Doch Melchor verneinte den Gedanken guten Gewissens. „Meint ihr dann, daß
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