Myron Bolitar 03 - Der Insider
Mantel mit dem Rüschenkragen. Dieses Mal hatte sie nichts in der Hand. Myron sagte: »Zeigen Sie mir noch mal die andere Stelle ganz.«
Dimonte nickte Krinsky zu. Krinsky spulte vor und drückte auf Play. Myron konnte das Gesicht der Frau zwar immer noch nicht erkennen, ihr Gang war aber eine ganz andere Sache. Der Gang eines Menschen kann ziemlich einzigartig sein. Myron spürte, wie seine Kehle trocken wurde.
Dimonte sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Erkennen Sie sie, Bolitar?«
Myron schüttelte den Kopf. »Nein«, log er.
32
Esperanza legte gern Listen an.
Sie hatte die Akte der Raven Brigade vor sich liegen und notierte die drei wichtigsten Fakten in chronologischer Reihenfolge:
Die Raven Brigade überfällt eine Bank in Tucson
Ein paar Tage später ist mindestens ein Mitglied der Ravens (Liz Gorman) in Manhattan
Kurz danach nimmt Liz Gorman Kontakt zu einem sehr bekannten Profi-Basketballspieler auf
Sie sah keinen Zusammenhang.
Sie öffnete die Akte und überflog kurz die Geschichte der »Brigade«. 1975 hatten die Ravens Hunt Flootworth entführt, den zweiundzwanzigjährigen Sohn des Medienmoguls Cooper Flootworth. Hunt hatte an der San Francisco State University mit ein paar von den Ravens zusammen studiert, darunter auch Cole Whiteman und Liz Gorman. Der berühmte Cooper Flootworth, dessen Art es nie gewesen war, untätig herumzusitzen, während andere sich um seine Angelegenheiten kümmerten, hatte Söldner angeheuert, die seinen Sohn retten sollten. Während ihres Angriffs hatte einer der Ravens dem jungen Hunt aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Wer, war nicht bekannt. Vier Brigademitglieder waren hinterher entkommen.
Big Cyndi hopste ins Büro. Durch die Vibrationen rollten Esperanzas Stifte vom Tisch.
»Entschuldigung«, sagte Cyndi.
»Kein Problem.«
»Timmy hat angerufen«, sagte Cyndi. »Freitag Abend gehen wir aus.«
Esperanza zog eine Grimasse. »Er heißt Timmy?«
»Ja«, sagte Cyndi. »Süß, nicht?«
»Bezaubernd.«
»Ich bin dann im Konferenzraum«, sagte Cyndi.
Esperanza kümmerte sich wieder um die Akte. Sie blätterte vor bis zu dem Bankraub in Tucson - es war der erste, den die Gruppe seit über fünf Jahren begangen hatte. Der Überfall hatte stattgefunden, als die Bank gerade schließen wollte. Das FBI glaubte, dass einer der Wachmänner eingeweiht gewesen war, konnte das aber nicht beweisen, und der einzige Hinweis war seine linke Vergangenheit. Es waren ungefähr 15 000 Dollar Bargeld geraubt worden, aber die Bankräuber hatten sich noch die Zeit genommen, die Schließfächer der Bank zu sprengen. Ein riskantes Vorgehen. Das FBI war der Ansicht, die Ravens hätten irgendwie erfahren, dass dort Drogengelder verwahrt wurden. Auf dem Bild der Überwachungskamera waren zwei von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidete Personen mit schwarzen Skimasken zu sehen. Es gab keine Fingerabdrücke, Haare oder Gewebespuren. Nichts.
Esperanza ging die Akte noch einmal durch, ihr stach aber nichts Neues in die Augen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie die letzten zwanzig Jahre für die überlebenden Ravens wohl verlaufen waren - ständig auf der Flucht, nur selten längere Zeit an einem Ort, Schwierigkeiten bei Ein- und Ausreise aus dem Land, immer wieder auf alte Sympathisanten angewiesen zu sein, denen man nie ganz vertrauen konnte. Sie nahm ihren Zettel und machte sich weitere Notizen:
Liz Gorman —> Banküberfall —> Erpressung
Also gut, dachte sie, immer den Pfeilen nach. Liz Gorman und die Ravens hatten Geld gebraucht, also hatten sie die Bank überfallen. Das passte. Es erklärte den ersten Pfeil. Eigentlich war es sowieso klar gewesen. Das eigentliche Problem war die zweite Verbindung:
Banküberfall —> Erpressung.
Um es auf den Punkt zu bringen: Was war beim Banküberfall passiert, dass die Ravens den Plan gefasst hatten, an die Ostküste zu kommen und Greg Downing zu erpressen? Sie versuchte, ein paar Möglichkeiten niederzuschreiben.
1. Downing war in den Banküberfall verwickelt.
Sie blickte auf. Das wäre schon möglich. Er hatte das Geld gebraucht, um seine Spielschulden zu begleichen. Da hätte er schon etwas Illegales tun können. Diese Hypothese verriet aber nichts über die eigentliche Frage: Wie waren sie zusammengekommen? Wo hatten Liz Gorman und Greg Downing sich kennen gelernt?
Sie war sich sicher, dass das der Schlüssel zu der ganzen Sache war.
Sie schrieb eine Zwei. Dann wartete sie.
Welche Verbindung gab es noch?
Ihr fiel
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