Myron Bolitar 03 - Der Insider
»Wieso?«
»Wusstest du, dass Greg spielt?«
»Klar. Na und?«
»Weißt du, wie viel er gespielt hat?«, fragte Myron.
»Nicht viel«, sagte sie. »Er ist hin und wieder nach Atlantic City gefahren. Und dann vielleicht mal fünfzig Dollar auf ein Football-Spiel.«
»Das hast du geglaubt?«
Ihr Blick glitt über sein Gesicht und versuchte, darin zu lesen. »Worauf willst du hinaus?«
Myron sah aus dem Fenster in den Garten. Der Swimmingpool war noch abgedeckt, aber ein paar Rotkehlchen waren schon von der jährlichen Wanderung nach Süden zurückgekehrt. Etwa zehn Vögel drängelten sich mit gesenkten Köpfen um das Vogelhäuschen und flatterten fröhlich mit den Flügeln. »Greg ist spielsüchtig«, sagte Myron. »Er hat über die Jahre Millionen verspielt. Felder hat kein Geld unterschlagen - Greg hat alles verspielt.«
Emily schüttelte nur leicht den Kopf. »Das ist unmöglich«, sagte sie. »Ich hab fast zehn Jahre mit ihm zusammengelebt. Ich hätte was gemerkt.«
»Spielsüchtige lernen, sich zu verstellen«, sagte Myron. »Sie lügen, betrügen und stehlen - Hauptsache, sie können weiterspielen. Es ist eine Krankheit.«
In ihren Augen leuchtete es auf. »Und das hatte diese Frau gegen Greg in der Hand? Dass er ein Spieler ist?«
»Ich glaube schon«, sagte Myron. »Sicher bin ich allerdings nicht.«
»Aber Greg hat tatsächlich gespielt, ja? Bis er sein ganzes Geld verloren hat?«
»Ja.«
Bei dieser Antwort leuchtete Emilys Gesicht vor Hoffnung auf. »Dann wird kein Richter der Welt ihm das Sorgerecht geben«, sagte sie. »Ich gewinne.«
»Ein Richter wird das Sorgerecht eher einem Spieler als einer Mörderin geben«, sagte Myron. »Und auch als einem Menschen, der versucht, einem anderen fälschlicherweise einen Mord anzuhängen.«
»Ich hab dir doch schon erklärt, dass das nicht falsch war.«
»Das behauptest du«, sagte Myron. »Aber zurück zu der Erpresserin. Du hast gesagt, sie wollte hunderttausend Dollar.«
Emily ging zurück zur Kaffeekanne. »Ja.«
»Wie solltest du zahlen?«
»Sie hat gesagt, ich soll Samstagnacht an der Telefonzelle vor einem Grand-Union-Supermarkt warten. Ich sollte Mitternacht da sein und das Geld bereithalten. Sie hat Punkt Mitternacht angerufen und mir eine Adresse in der 11 Ith Street gegeben. Ich sollte um zwei Uhr morgens da sein.«
»Also bist du um zwei Uhr morgens mit hunderttausend Dollar in die 11 Ith Street gefahren?« Er versuchte, nicht allzu ungläubig zu klingen.
»Ich hatte nicht mehr als sechzigtausend zusammengekriegt«, korrigierte sie.
»Hat sie das gewusst?«
»Nein. Pass auf, ich weiß, dass das alles verrückt klingt, aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie verzweifelt ich war. Ich war soweit, dass ich alles getan hätte.«
Myron verstand. Er hatte aus nächster Nähe gesehen, wie weit Mütter gehen konnten. Liebe verbiegt die Menschen. Mutterliebe verbiegt sie bis zur Unkenntlichkeit. »Erzähl weiter«, sagte er.
»Als ich um die Ecke bog, hab ich Greg aus dem Haus kommen sehen«, sagte Emily. »Ich war perplex. Er hatte den Kragen hochgeklappt, aber ich konnte sein Gesicht trotzdem sehen.« Sie sah zu Myron auf. »Ich war lange mit ihm verheiratet, aber so eine Miene hab ich bei ihm noch nie gesehen.«
»Was für eine?«
»Absolut angstverzerrt«, sagte sie. »Er ist fast gerannt. Richtung Amsterdam Avenue. Ich hab gewartet, bis er um die Ecke war. Dann bin ich zur Tür gegangen und hab bei ihr geklingelt. Es hat keiner aufgemacht. Ich hab dann auf andere Klingeln gedrückt, bis mich schließlich jemand reingelassen hat. Ich bin hochgegangen und hab eine Weile geklopft. Dann hab ich am Türgriff gedreht, und es war nicht abgesperrt. Also hab ich die Tür aufgemacht.«
Emily hielt inne. Eine zitternde Hand führte die Tasse an ihre Lippen. Sie nippte daran.
»Das hört sich jetzt scheußlich an«, fuhr sie fort, »aber ich habe da keinen toten Menschen liegen sehen. Ich habe nur die letzte Hoffnung gesehen, meine Kinder doch noch zu behalten.«
»Also hast du beschlossen, in Gregs Haus ein paar Hinweise zu platzieren.«
Emily stellte die Tasse ab und sah ihn an. Ihre Augen waren klar. »Ja. Und in dem anderen Punkt hattest du auch recht. Ich hab das Spielzimmer genommen, weil ich wusste, dass er da nie runtergeht. Ich dachte, wenn Greg nach Hause kommt - ich konnte ja nicht wissen, dass er abhaut —, dann ist das Blut da unten sicher. Na ja, ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin, aber es ist ja nicht so, dass
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