Myron Bolitar 03 - Der Insider
war nicht einmal mit dem Gefühl bei gewaltsamen Auseinandersetzungen vergleichbar - was zugegebenermaßen ein perverses High war. Er hatte erwartet, dass diese ausschließlich mit dem Sport verknüpfte Empfindung mit dem Alter nachließ, wenn etwas so relativ Bedeutungsloses wie ein Basketballspiel nicht mehr durch die Brille der Jugend auf epische Ausmaße aufgebläht wurde. Ein Erwachsener erkennt natürlich, was man einem Kind oder Jugendlichen nicht erklären kann - dass ein bestimmter Jahresabschlussball in der Schule oder ein vergebener Freiwurf in Zukunft allenfalls Randnotizen sind. Aber hier saß Myron nun, längst bequem in seinen Dreißigern angekommen, und verspürte die gleichen ungestümen und heißen Empfindungen, die er sonst nur aus seiner Jugend kannte. Sie waren nicht mit dem Alter verschwunden. Sie waren nur in eine Art Winterschlaf gefallen - genau wie Calvin es vorhergesagt hatte - und hatten auf die Gelegenheit gewartet, wieder aufzuwachen, eine Gelegenheit, die sie normalerweise im Leben eines Menschen nicht bekamen.
Hatten seine Freunde recht gehabt? War das alles zu viel für ihn? Hatte er das nicht hinter sich gelassen? Er entdeckte Jessica auf der Tribüne. Sie beobachtete das Spiel mit ihrer komischen, konzentrierten Miene. Sie schien sich als Einzige keine Sorgen um seine Rückkehr aufs Basketballfeld zu machen, aber andererseits war sie in der Blüte seiner Jahre als Basketballspieler auch nicht Teil seines Lebens gewesen. Verstand die Frau, die er liebte, nicht, was in ihm vorging, oder war sie ... ?
Er brach ab.
Von der Reservebank aus kann so eine Basketballhalle ziemlich klein wirken. So sah er zum Beispiel, dass Win sich mit Klopfer unterhielt. Er sah Jessica. Er sah die Frauen und Freundinnen der anderen Spieler. Und dann sah er, wie seine Eltern durch einen Eingang direkt vor ihm auf die Tribüne kamen. Sofort wandte er den Blick ab und schaute auf den Platz. Er klatschte in die Hände, feuerte seine Mannschaftskameraden an und tat so, als interessiere er sich für den Spielverlauf. Mom und Dad. Sie mussten die Reise abgebrochen haben.
Er riskierte einen schnellen Blick. Sie saßen jetzt neben Jessica in der Sektion, die für Familie und Freunde reserviert war. Seine Mutter starrte ihn an. Selbst aus dieser Entfernung konnte er den leeren Blick ihrer glasigen Augen erkennen. Dads Augen irrten umher, sein Kinn war angespannt, als müsste er noch etwas Mut sammeln, bevor er direkt auf den Platz gucken konnte. Myron verstand, was in ihnen vorging. Es war ihnen alles zu vertraut, wie ein alter Familienfilm, der wieder zu Leben erwacht. Er wandte den Blick ab.
Leon White wurde aus dem Spiel genommen. Er ließ sich auf einen freien Sitz neben Myron fallen. Ein Handtuchjunge legte ihm seine Trainingsjacke über die Schultern und gab ihm eine Trinkflasche. Leon trank einen Schluck. Sein Körper glänzte schweißnass.
»Hab gesehen, wie du gestern Abend mit Klopfer gesprochen hast«, sagte Leon.
»Ja.«
»Und, flachgelegt?«
Myron schüttelte den Kopf. »Ich bleibe ungeklopft.«
Leon kicherte. »Weißt du, wie sie zu dem Namen gekommen ist?«
»Nein.«
»Wenn sie bei der Sache ist - aber nur, wenn sie richtig in Schwung kommt -, dann hat sie so eine Angewohnheit, sie klopft mit einem Bein. Mit dem linken. Nur mit dem linken. Sie liegt also auf dem Rücken, und du bist voll am Pumpen, plötzlich fängt ihr Bein an zu hüpfen. Und das klopft dann, klar?«
Myron nickte. Er hatte es verstanden.
»Also, wenn sie das nicht macht - wenn einer Klopfer nicht zum Klopfen kriegt -, dann hast du irgendwie deine Pflicht nicht getan. Kannst dich nicht mehr blicken lassen. Musst mit gesenktem Kopf rumlaufen.« Dann ergänzte er. »Das hat 'ne ziemlich lange Tradition.«
»Wie bei der Chanukka den Leuchter anzuzünden«, sagte Myron.
Leon lachte. »Na ja, nicht ganz so lang.«
»Bist du schon geklopft worden, Leon?«
»Klar, ein Mal.« Dann fügte er schnell hinzu: »Das war aber vor meiner Hochzeit.«
»Und wie lange bist du schon verheiratet?«
»Vot gut einem Jahr habe ich Fiona geheiratet.«
Myrons Herz sank in einen Aufzugschacht. Fiona. Leons Frau hieß Fiona. Er sah zu der drallen, wohlproportionierten Blondine auf der Tribüne hoch. Fiona begann mit F.
»Bolitar!«
Myron sah auf. Es war Donny Walsh, der Coach.
»Ja?«
»Du gehst für Erickson rein.« Walsh spuckte die Worte aus wie abgeknipste Fingernägel. »Übernimm die Zweier-Position, und lass Kiley den Aufbau
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