Myron Bolitar 03 - Der Insider
schnappte sich den Pass und warf noch in der gleichen Bewegung. Mit einem Swusch fiel der Ball durchs Netz. Ein Dreier.
»Hey, Alter, hast du das gehört?« Reggie Wallace ließ nicht locker. »Das Swusch? Es gibt auf der ganzen Welt kein schöneres Geräusch. Hast du gehört? Es gibt kein schöneres Geräusch. Nicht mal 'ne Frau beim Orgasmus.«
Myron sah ihn an. »Frauen haben Orgasmen?« Wallace lachte. »Touche, alter Sack. Touche.« Myron sah auf die Spieluhr. Er war gerade mal vierunddreißig Sekunden auf dem Feld, und sein Gegner hatte schon fünf Punkte gemacht. Myron überschlug es kurz. Wenn er diesen Schnitt beibehielt, konnte er Reggie Wallace unter sechshundert Punkte pro Spiel halten.
Kurz danach kamen die Buhrufe. Aber anders als früher ver-blasste das Geräusch nicht im Hintergrund. Es war keine auf-und abschwellende Geräuschkulisse, keine Welle der Anfeuerung wie in der Heimarena, auf der man reiten konnte wie ein Surfer. Oder die Schmähungen in der Arena des Gegners, die man erwartete und sogar auf eine eigenartige Art genießen konnte. Aber wenn man persönlich von den eigenen Fans ausgebuht wird, hört, wie die eigenen Fans sich gegen einen wenden - das war Myron noch nie widerfahren. Er hörte die Menge wie nie zuvor - sowohl als kollektive Einheit, die Spott über ihn ausschüttete und dazwischen einzelne Stimmen, die hässliche Schmähungen riefen. »Du bist scheiße, Bolitar!« »Schmeißt die Niete raus.« »Brich dir auch das andere Knie, und setz dich auf die Bank!« Er versuchte, sie zu ignorieren, aber jeder dieser Rufe traf ihn wie ein Messer.
Aber dann packte ihn doch der Stolz. Er wollte Wallace nicht punkten lassen. Der Geist war willig. Das Herz war willig. Nur das Knie nicht, wie Myron bald erkennen musste. Er war einfach zu langsam. Reggie Wallace machte in dem Viertel noch sechs weitere Punkte, so dass er insgesamt elf hatte. Myron machte zwei Punkte, als er frei zum Sprungwurf kam. Er verlegte sich darauf, »Appendix«-Basketball zu spielen, wie er es früher genannt hatte. Manche Spieler auf dem Platz waren -wie der Blinddarm - entweder überflüssig oder gar schädlich. Er versuchte, nicht im Weg zu stehen und TC unterm Korb anzuspielen. Er passte viel und bewegte sich vom Ball weg. Als er gegen Ende des Viertels eine große Lücke sah und hineinzog, blockte ihn der große Center der Pacers so locker, dass er dabei den Ball noch in die Zuschauerränge schleudern konnte. Die Buhrufe wurden ohrenbetäubend. Myron blickte auf. Seine Mom und sein Dad saßen still wie zwei Statuen. In der Loge daneben formte ein Grüppchen gut gekleideter Männer mit den Händen Trichter um die Münder und begann, »Bolitar ist scheiße« zu skandieren. Myron sah, wie Win schnell auf sie zuging. Win reichte dem Wortführer die Hand. Der Wortführer ergriff sie. Er ging zu Boden.
Aber das Merkwürdige war, obwohl Myron das Spiel seiner Mannschaft zerstörte, obwohl er weiterhin in der Verteidigung keine Chance hatte und im Angriff erfolglos war, blieb seine alte Zuversicht erhalten. Er wollte auf dem Feld bleiben. Er hoffte weiter relativ ungerührt auf seine Chance, ein Mann, der sich verleugnete, ein Mann, der alle Hinweise ignorierte, die eine Menge von 18812 Zuschauern (laut Durchsage) eindeutig sah. Er wusste, dass sein Glück sich wenden würde. Er war ein bisschen aus der Übung, das war alles. Bald würde sich alles zu seinen Gunsten wenden.
Er erkannte, wie sehr das nach B-Mans Beschreibung den Gedankengängen eines Spielsüchtigen glich.
Kurz daraufwar die Halbzeit zu Ende. Als er vom Platz ging, sah Myron noch einmal zu seinen Eltern hinauf. Sie waren aufgestanden und lächelten ihm zu. Er lächelte zurück und nickte kurz. Dann suchte er das Grüppchen gut gekleideter Buhrufer. Sie waren nirgendwo zu sehen. Win auch nicht.
In der Pause sprach niemand mit ihm, und in der zweiten Halbzeit wurde Myron auch nicht wieder eingewechselt. Er vermutete, dass Clip dahintersteckte, dass er ins Spiel gekommen war. Aber wieso? Was hatte Clip damit beweisen wollen? Die Dragons gewannen das Spiel mit zwei Punkten Vorsprung. Beim Umziehen war Myrons Auftritt bereits vergessen. Die Medien sammelten sich um TC, der brillant gespielt, dreiunddreißig Punkte gemacht und achtzehn Rebounds geholt hatte. TC klopfte Myron im Vorbeigehen auf den Rücken, sagte aber nichts.
Myron band sich die Schuhe auf. Er überlegte, ob seine Eltern auf ihn warteten. Das war unwahrscheinlich. Sie konnten sich
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