MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Im buchstäblich allerletzten Moment konnte Niko die Worte zurückhalten, die schon von seiner Zunge springen wollten. »Nein, Kieran«, sagte er stattdessen unter heftigem Kopfschütteln. »Du musst dich täuschen, ganz bestimmt sogar.«
Kieran blieb jedoch bei seiner Behauptung. Sein Vater Krispan, so erzählte er, hatte bereits König Norwid, dem Vater Nelwyns, gedient und sich vornehmlich um die Erziehung des jungen Prinzen gekümmert. Wie ein leiblicher Vater hatte er sich Nelwyns angenommen und ihm alles beigebracht, was von einem zukünftigen Herrscher erwartet wurde. Er hatte ihn nicht nur an den Waffen geschult und ihm das nötige Geisteswissen vermittelt, sondern ihn auch mit den Sitten und Gebräuchen bei Hofe bekannt gemacht und gleichzeitig dafür gesorgt, dass der junge Prinz ein feines Gespür für die Nöte und Sorgen seiner Untertanen, der einfachen Bauern, Handwerker und Bürger, entwickelte. Nelwyn hatte mit Krispan weit mehr Zeit verbracht als mit seinem eigenen Vater, sodass sich zwischen den beiden Männern, so unterschiedlich sie auch sein mochten, ein tiefes Vertrauensverhältnis entwickelte. Woran sich auch nicht das Geringste änderte, als Nelwyn schließlich selbst zum König gekrönt wurde.
»Auch danach hat Nelwyn uns regelmäßig besucht, insbesondere im letzten Sommer seines Lebens«, fuhr Kieran fort. »Deshalb weiß ich auch ganz sicher, dass unser König damals diesen Ring getragen hat - und zwar am gleichen Finger wie du!«
Aber das ist unmöglich, ging es Niko durch den Kopf, während er das Schmuckstück nachdenklich musterte. Plötzlich kam ihm ein Verdacht. »Eine Frage, Kieran: War Nelwyn im Jahr vor seinem Tod vielleicht öfter mal abwesend oder hat Helmenkroon für einen längeren Zeitraum verlassen?«
»Nein! Ganz im Gegenteil!«, widersprach der junge Mann vehement. »Nelwyn hat sich kaum mehr von der Burg entfernt. Worüber sich viele gewundert haben, denn vorher hatte Nelwyn das Nivland regelmäßig bereist und überall selbst nach dem Rechten gesehen. Doch urplötzlich, im vorletzten Sommer seines Lebens, war es damit vorbei.«
»Warum das? Weshalb der plötzliche Sinneswandel?«
Kieran lächelte zunächst still in sich hinein, bevor er auf die Frage einging. »Nun - ich war damals noch viel zu jung, um es zu verstehen. Aber mittlerweile habe ich begriffen, was in diesem Sommer vor sich ging.«
Kierans Familie bewohnte damals ein kleines Herrenhaus, das, kaum hundert Schritte von den Ostmauern der Burg entfernt, versteckt im Wald gelegen war. Eines Tages brachte sein Vater ein junges Mädchen mit nach Hause, das an ihren hellen blonden Haaren und den strahlend blauen Augen unschwer als Valckenländerin zu erkennen war. Er stellte sie ihnen als die Tochter eines alten Freundes vor, die für einige Zeit bei ihnen wohnen würde, um die Sitten und Gebräuche des Nivlandes kennenzulernen. »Seltsamerweise hat sie ihr kleines Gemach, es lag etwas abseits im Seitenflügel, so gut wie nie verlassen«, erklärte Kieran mit wissendem Lächeln.
Niko runzelte die Stirn. »Und warum nicht?«
»Darüber habe ich anfangs gar nicht nachgedacht. Ich war zehn und hatte anderes im Sinn, als mir über das seltsame Verhalten einer Valckenländerin den Kopf zu zerbrechen - bis ich eines Nachts eher zufällig eine interessante Beobachtung gemacht habe.« Kieran reckte den Kopf vor, und auch Niko und Ayani rückten näher heran, sodass sie einer kleinen Gruppe von Verschwörern glichen, die Geheimnisse austauschten. »Es muss so um die Dämonenstunde herum gewesen sein. Mir war warm und ich konnte schlecht schlafen, und so habe ich mich hinunter in die Küche geschlichen, um mich mit einem Schluck Wasser zu erfrischen. Plötzlich bemerkte ich eine dunkle Gestalt, die auf Zehenspitzen und die Stiefel in der Hand den Hausflur entlangkam. Ich wollte schon Alarm schlagen, als der Nachtmond hinter einer Wolke hervortrat und sein Schein auf das Gesicht des Mannes fiel. Ich erkannte ihn sofort: Es war König Nelwyn! Er hat mich zum Glück nicht bemerkt und ist gleich darauf im Kaminzimmer verschwunden.«
»Aber...« Ayani sah ihn verständnislos an. »Was wollte der König mitten in der Nacht bei euch? Und warum diese Heimlichtuerei?«
»Das habe ich Vater am nächsten Tag auch gefragt. Aber der ist einfach über meine Frage hinweggegangen. Stattdessen hat er mich nur zornig angefahren und mir das Versprechen abgenommen, keinem Menschen auch nur
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