MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
zu erkennen war.
Während Ayani mühsam aus dem See zurück auf den Steg kletterte, ging ihr auf, dass sie sein Nahen gar nicht bemerkt hatte. Kein Wunder - sie hatte doch nur Augen für das schreckliche Tier gehabt!
»Es tut mir leid, wenn Gerrek dich erschreckt haben sollte«, sagte der Mann mit sanfter Stimme und deutete auf den Klauenwolf, der nun brav wie ein Lamm zu seinen Füßen lag. »Die Begegnung mit deinesgleichen überrascht ihn jedes Mal aufs Neue. Geht es dir gut?«
Mit meinesgleichen?, fragte sich Ayani im Stillen. Sie hatte keine Ahnung, was das heißen sollte, fand aber langsam ihre Fassung wieder. »Ich glaube schon«, antwortete sie und fügte vorwurfsvoll hinzu: »Aber Ihr solltet das nächste Mal etwas besser auf ihn aufpassen! Nicht auszudenken, wenn Ihr nicht rechtzeitig hier aufgetaucht wärt.«
»Keine Angst, ich komme immer zur rechten Zeit.« Der Mann lächelte; Ayani hörte es mehr, als dass sie es unter der Kapuze sah. »Auch wenn das nicht jeder auf Anhieb verstehen mag.«
Ayani rümpfte die Nase. Was redete der Fremde für ein unverständliches Zeug? Und weshalb trieb er sich an diesem abgelegenen See im Flüsternden Forst herum, wohin sich so gut wie niemals ein Fremder verirrte? »Ich habe Euch hier noch nie gesehen.« Misstrauisch musterte sie den Mann. »Wer seid Ihr überhaupt und was wollt Ihr hier?«
»Nun...« Noch immer lächelte der Mann. »Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin der, der ich immer war und immer sein werde. Und ich bin gekommen, weil mein Weg mich hierher geführt hat.«
Ayani verdrehte die Augen. Eine wahrhaft erhellende Antwort!, dachte sie grimmig. »Dann passt auf, dass Ihr nicht davon abweicht«, entgegnete sie spitz. »Und jetzt entschuldigt mich, ich habe noch zu tun.« Damit bückte sie sich nach den Holzeimern, die dicht am Steg auf dem Wasser schaukelten.
»Oh, lass dich von niemandem aufhalten«, sagte der Mann mit einem merkwürdigen Unterton, sodass Ayani ihn erneut verwundert anblickte. »Jeder muss die Aufgabe erfüllen, die ihm zugedacht worden ist.«
Was für ein Kauz, ging es Ayani durch den Kopf, bevor sie niederkniete, um die Eimer zu füllen. Als sie sich wieder aufrichtete, war der Mann mitsamt dem Wolf verschwunden. Keine Spur war von den beiden mehr zu sehen, gerade so als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Was aber noch viel seltsamer war: Der Wind hatte sich völlig gelegt und es war wieder strahlend hell geworden, von einem Augenblick auf den anderen.
Fassungslos starrte Ayani auf die Stelle, wo der Mann und der Wolf eben noch gewesen waren. Dort wuchs ein großes Büschel eines Krauts, das sie sehr gut kannte: Verbena, auch Wunschkraut genannt. Die Pflanzen waren mehr als kniehoch, hatten stark verzweigte Halme mit länglichen, leicht gezackten Blättern und trugen zahlreiche winzige rotviolette Blüten, die schlanke Ähren formten. Als ihr schöner, leicht bitterer Duft Ayani in die Nase stieg, fiel ihr plötzlich etwas auf: Obwohl der geheimnisvolle Mann genau dort gestanden und der schwere Klauenwolf direkt zu seinen Füßen gelegen hatte, hatten sie keinerlei Spuren in den Kräutern hinterlassen!
Das ist doch nicht möglich, dachte Ayani und wollte sich eben zu den Pflanzen begeben, um sie näher in Augenschein zu nehmen, als sie zu ihrem Schrecken bemerkte, dass die Kette mit ihrem Medaillon nicht mehr um ihren Hals hing.
Zum Glück fand sie das Schmuckstück recht schnell wieder. Es lag dicht beim Steg auf dem flachen Grund des Sees. Der Verschluss musste sich wohl geöffnet haben, als sie in den Teich gefallen war. Ayani kniete rasch nieder, um die Kette wieder herauszufischen.
Unter Wasser wirkte das Medaillon viel größer als in Wirklichkeit, und auch das Zeichen, das darauf eingraviert war, war nun viel deutlicher zu sehen. Als Ayani sich vorbeugte, um nach dem Halsschmuck zu greifen, leuchtete das Symbol mit einem Mal strahlend hell auf.
Es war ein M - das Zeichen grenzenlosen Vertrauens.
KAPITEL 3
DER RUF DES FALKEN
N iko hatte keine Ahnung, was Herr Schreiber meinte. »Die zwei, die zu einem werden?«, wiederholte er mit gerunzelter Stirn.
Der Alte nickte. »Du sagst es, Niko. Und du wirst schon bald herausfinden, was damit gemeint ist.«
Niko?
Hatte er ihn wirklich Niko genannt?
Woher kannte der Ladenbesitzer seinen Namen? Sie waren sich doch noch nie zuvor begegnet.
Seltsam, wirklich seltsam, dachte Niko
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