MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Hausschlüssel, als der Vogel ein weiteres Mal rief. Im gleichen Augenblick verdunkelte sich der Himmel, als habe sich ein dichter Schleier über die Sonne geschoben. Ein eisiger Wind kam auf. Er ließ die Blätter der Bäume wild rauschen und fuhr Niko fast wie mit Fingern durchs Haar. Ein stechender Schmerz zuckte durch den Kopf des Jungen - und obwohl der Spuk genauso schnell verschwand, wie er gekommen war, wusste Niko mit einem Mal, dass etwas passiert war.
Mit Opa Melchior!
»Mit Opa Melchior?« Nikos Mutter sah ihren Sohn verwundert an. »Woher wusstest du...?«
»Ich weiß es einfach«, antwortete Niko mit grimmiger Miene. Er schloss die Haustür hinter sich und ließ seinen Rucksack achtlos auf den Boden der kleinen Eingangsdiele fallen. »Jetzt mach schon, Mama. Erzähl endlich, was passiert ist.«
Rieke Niklas schluckte betreten. Obwohl sie bereits Ende dreißig war, besaß sie immer noch eine zierliche, fast mädchenhafte Gestalt, und die feinen Züge ihres schmalen Gesichtes ließen sie viel jünger erscheinen. Jetzt allerdings war ihr deutlich anzusehen, dass ihr nicht ganz wohl in ihrer Haut war. »Du hast recht«, sagte sie leise. »Er hat vor zehn Minuten angerufen.«
Niko runzelte die Stirn. »Ja, und?«
»Es ist nichts Ernstes, hat er gesagt. Nur ein Hexenschuss, weiter nichts. Aber...«
Ihr Tonfall ließ sämtliche Alarmsirenen in Niko aufschrillen. Er legte den Kopf schief. »Ja?«, fragte er gedehnt.
»Er kann sich kaum bewegen, und wenn, dann nur unter größten Schmerzen. Deshalb hat er auch gefragt, ob wir ihm nicht ein wenig zur Hand gehen könnten. Nur für ein paar Tage, bis er wieder auf dem Damm ist.«
Na, super!
Ausgerechnet jetzt!
»Oh Mann!« Niko kniff die Augen zusammen und bedachte seine Mutter mit finsteren Blicken. Das Grün seiner Pupillen färbte sich dunkler und das sanfte Kupferbraun seines Gesichtes verschattete sich. »Das glaub ich jetzt nicht«, maulte er. »Ich hab mich so auf unseren Ausflug ins Adventure-Land gefreu-«
Weiter kam er nicht. Seine Mutter machte einen Schritt auf ihn zu und strahlte plötzlich wie ein Weihnachtsbaum. »Echt? Heißt das, du hast die Klasse bestan-?«
»Natürlich«, fiel Niko ihr ruppig ins Wort. »Was hast du denn gedacht?«
»Alter Angeber!« Rieke verpasste ihm einen Stoß in die Rippen und grinste noch breiter. »Meinen allerherzlichsten Glückwunsch, mein Junge. Ehrlich gesagt, hätte ich dir das gar nicht mehr zugetraut. Umso mehr freue ich mich jetzt für dich! Und was das Adventure-Land betrifft …« Sie wurde wieder ernst und schaute ihn eindringlich an. »Da fahren wir ganz bestimmt noch hin, Niko, nur etwas später als geplant.«
Niko erwiderte nichts, sondern verzog nur stumm das Gesicht.
»Ich verstehe ja, dass du enttäuscht bist«, fuhr Rieke fort. »Aber wir können Opa doch jetzt nicht im Stich lassen. Seine Pferde müssen versorgt werden und die Hühner und Schafe brauchen auch jeden Tag Futter. Außer uns hat er doch niemanden, der ihm helfen kann.«
»Und was ist mit den Leuten vom Nachbarhof?«
»Aber die kennt Opa doch gar nicht.« Mit leichtem Vorwurf zog Rieke die Brauen hoch. »Die sind erst vor einem halben Jahr dort eingezogen, das hab ich dir doch erzählt!«
»Ja, schon, aber …«, hob Niko an, wurde aber sofort unterbrochen.
»Hör zu!« Rieke legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. »Es dauert bestimmt nicht lange, bis Opa wieder alleine zurechtkommt. Und die paar Tage überstehst du doch mit links, oder?«
Niko wollte schon widersprechen, ließ es dann aber doch sein. In ihm regte sich nämlich das schlechte Gewissen. Seine Mutter hatte natürlich recht. Rieke und er waren in der Tat die einzigen noch lebenden Angehörigen von Opa Melchior. Seit dem Tod von Oma Frida im letzten Jahr lebte er ganz alleine weit draußen in der finstersten Provinz. In einem kleinen Kuhkaff, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagten und wo es so öde war, dass man dort nicht einmal tot über dem Zaun hängen wollte.
Niko kannte das Dörfchen ziemlich gut. Es hieß Oberrödenbach am Wald, hatte kaum zweihundert Einwohner und war damit so klein, dass es auf keiner Landkarte zu finden war. Der nächstgrößere Ort, der diese Bezeichnung überhaupt verdiente, lag eine halbe Autostunde entfernt, und bis nach Falkenstedt waren es rund zweihundert Kilometer. Deshalb hatte Niko dem Flecken schon vor Jahren einen
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