MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
wild!
Niko hatte nicht die geringste Ahnung, wie er ins Bett gekommen war. Er konnte sich weder erinnern sein Zimmer betreten noch sich ausgezogen zu haben. Das Letzte, was noch in seinem Gedächtnis haftete, war das Foto des Ellerhofes, das im Treppenhaus hing. Und der geheimnisvolle Schrei des Falken, der ihm daraus entgegengeschlagen war. Plötzlich stand auch die Flammenwand wieder vor seinem inneren Auge, und er spürte den unheimlichen Sog, den sie auf ihn ausgeübt hatte. Und gleichzeitig stieg der verlockend bittere Geruch aus dem altertümlichen Laden wieder in seine Nase - und der schwemmte schließlich die Bilder seines geheimnisvollen Traumes wieder in sein Gedächtnis.
Niko war völlig verwirrt. Ihm war, als drehe sich ein Jahrmarktskarussell in seinem Kopf, das hoffnungslos aus dem Takt geraten war. In seinem Schädel summte und brummte es wie in einem Bienenkorb, während die Bilder und Eindrücke des Traumes wild durcheinanderwirbelten.
Aber - war es überhaupt ein Traum gewesen?
Plötzlich war Niko sich nicht mehr sicher. Das aufregende Geschehen war ihm noch so lebhaft in Erinnerung, als wäre er leibhaftig dabei gewesen. Als hätte er diesen geheimnisvollen Jungen mit dem mächtigen Schwert, der kaum älter gewesen sein konnte als er selbst, bei seinem nächtlichen Abenteuer höchstpersönlich begleitet. Oder besser: Als wäre er selbst der Junge gewesen, auch wenn das absolut unmöglich war. Plötzlich meinte Niko wieder den Wind in seinen Haaren zu spüren, der ihm auf der Mauerkrone entgegengeweht war. Erblickte die Fahne mit dem roten Greif, die auf der Spitze des Bergfrieds flatterte. Sah die lauernde Düsternis in den engen Gängen des Burggebäudes und spürte den beißenden Rauch der Fackeln in seiner Nase. Fast glaubte Niko sogar, die Waffe in seiner Hand zu halten und ihr Gewicht zu spüren. Auch der Geruch, der im Schlafraum des einäugigen Burgherrn geherrscht hatte - nach Schweiß, abgrundtiefer Bosheit und Todesangst -, war plötzlich wieder so gegenwärtig, dass es Niko in der Kehle würgte und er sich um ein Haar übergeben hätte.
Hastig schnappte er nach Luft und atmete zwei-, dreimal tief durch. Als der gallebittere Geschmack in seinem Mund endlich verflogen war, schimpfte er im Stillen mit sich selbst: War er jetzt völlig bescheuert? Oder drehte er langsam aber sicher durch?
Er seufzte und schüttelte langsam den Kopf. Natürlich war es ein Traum gewesen; was denn sonst? Er lag schließlich in seinem Bett und trug seinen Schlafanzug, was eindeutig bewies, dass er in keine Burg eingedrungen sein konnte. Die er zudem noch nie zuvor gesehen hatte und von der er schon gar nicht wusste, wo sie stand! Andererseits: In den letzten Stunden war eine Woge seltsamster Erlebnisse über ihn hinweggeschwappt. Er musste plötzlich wieder an sein Gespräch mit dem alten Mann im Laden denken und an das geheimnisvolle Buch, das der ihm geschenkt hatte. Auch an den Typen vor dem Geschäft, in dem er für einen irren Moment ein Monster zu sehen geglaubt hatte. Und warum in aller Welt hatte er, noch bevor seine Mutter ihm davon erzählte, mit absoluter Sicherheit gewusst, dass seinem Opa Melchior etwas zugestoßen war? Weshalb nahm er plötzlich fremdartige Gerüche wahr, hörte den Schrei imaginärer Falken und sah die Bilder eines flammenden Tores vor sich?
Doch sosehr Niko auch grübelte und sich den Kopf zermarterte, es wollte ihm einfach keine schlüssige Erklärung einfallen. Nur ein Gedanke war ihm mittlerweile zur Gewissheit geworden: dass all das erst der Anfang war. Er wusste es einfach: Etwas Unbekanntes hatte begonnen und würde ihn nicht eher wieder loslassen, bis er herausgefunden hatte, was es damit auf sich hatte. Nur hatte er nicht die geringste Ahnung, wo er bei seiner Suche nach des Rätsels Lösung überhaupt anfangen sollte.
KAPITEL 5
DAS KNOCHENORAKEL
R hogarr von Khelm stand am Fenster des Thronsaals von Helmenkroon und starrte mit düsterer Miene hinunter auf den Burghof. Sein stoppelbärtiges Gesicht war von bleicher Müdigkeit gezeichnet, tiefe Falten furchten seine Stirn und das rechte Auge war blutrot geädert. Wie schon in den letzten Nächten hatte Rhogarr auch in der vergangenen Nacht kaum geschlafen. Kurz nach Beginn der Dämonenstunde hatte ihn ein Donnerschlag jäh aus dem Schlummer gerissen und danach hatte er keine Ruhe mehr finden können. Der Albtraum, der ihn nun schon seit Tagen plagte, lastete schwer wie ein
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