MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
…«
»Ja?«
Jessie antwortete nicht. Ihr unruhiger Blick sprang zwischen dem Nebel und Niko hin und her, als suche sie fieberhaft nach den passenden Worten.
»Jetzt erzähl schon, Jessie«, drängte Niko.
»Okay«, sagte sie schließlich. »Aber vorher musst du mir versprechen, dass du mich nicht auslachst oder gar für verrückt erklärst.«
»Natürlich nicht!« Niko verdrehte die Augen. »Wieso sollte ich?«
»Weil kein vernünftiger Mensch glauben kann, was ich gestern erlebt habe.«
Jessies Gesicht war plötzlich rot geworden. Niko meinte sogar Spuren von Angst darin zu erkennen. Deshalb ermunterte er das Mädchen, sich ihm anzuvertrauen. »Jetzt mach schon. Ich lache dich auch bestimmt nicht aus.«
Jessie zögerte noch kurz. Dann aber gab sie sich einen Ruck und berichtete, was sie am Tag zuvor erlebt hatte: Sie war ausnahmsweise in aller Frühe aufgestanden, weil sie in der Hütte am Moor etwas erledigen wollte. Auf dem Rückweg war es ihr dann genauso ergangen wie eben: Urplötzlich war Nebel aufgekommen, und mit einem Mal hatte sie die geheimnisvolle Dunstwolke entdeckt - und natürlich hatte sie sofort wissen wollen, was sich dahinter verbarg.
»Dann bist du also näher herangegangen?«, fragte Niko gespannt.
»Genau.« Jessie nickte bedrückt. »Aber plötzlich hatte ich das Gefühl, dass etwas unsagbar Böses dahinter lauert. Eine unheimliche Macht, die es auf mich abgesehen hatte und mir schaden wollte.«
»Was?« Jessies Aussage verwirrte Niko. Seine eigenen Empfindungen angesichts der Nebelwolke waren doch ganz anders gewesen, zumindest in seinem Traum. Er hatte nicht die geringste Angst gehabt, ganz im Gegenteil: Er hatte vielmehr den Eindruck gehabt, als erwarte ihn dahinter ein aufregendes Geheimnis, das er unbedingt ergründen müsse. Besonders als der fremde Mann daraus hervorgetreten war und ihn angespro-
Jessies Worte rissen ihn aus den Gedanken. »Und plötzlich«, sagte sie, brach aber sofort wieder ab und schluckte.
»Ja? Jetzt erzähl endlich und lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
Jessie hatte die Nebelwolke schon fast erreicht, als sie plötzlich ein Ungeheuer darin zu erblicken glaubte. Es war von menschenähnlicher Gestalt, besaß allerdings einen monströsen Kopf mit blutroten Augen, einer gekrümmten Nase und Hörnern auf der Stirn - und aus beiden Mundwinkeln ragten spitze Hauer! Als das unheimliche Wesen sie sah, stieß es ein heiseres Fauchen aus und machte Anstalten, sich auf sie zu stürzen. Jessie wurde von panischem Entsetzen gepackt, machte auf der Stelle kehrt und stürmte, Hals über Kopf und ohne auf den Weg zu achten, davon.
Plötzlich begriff Niko, warum Jessie am Vortag blindlings auf die Straße gerannt und seiner Mutter beinahe ins Auto gelaufen war: weil sie Angst hatte, ganz schreckliche Angst. Seine Ahnung hatte ihn also nicht getrogen, und auch dieses Monster im Busch hatte er sich offensichtlich nicht eingebildet, auch wenn er die entsetzliche Fratze nur für die Dauer eines Herzschlages erblickt hatte.
Voller Anteilnahme blickte er Jessie an. »Hat sich dieses Wesen noch mal sehen lassen?«
»Nein«, flüsterte Jessie und schüttelte den Kopf. »Und ehrlich gesagt: Ich bin auch gar nicht scharf darauf, ihm noch mal zu begegnen.« Nach einem kurzen Blick auf die geheimnisvolle Nebelwolke trat sie näher an Niko heran und sah ihn mit großen Augen an. »Hältst du mich jetzt für verrückt?«, fragte sie leise. »Oder glaubst du, ich habe mir das alles nur eingebildet?«
»Nein, Jessie.« Niko schüttelte den Kopf. Jessie stand so dicht vor ihm, dass er die Wärme ihres Körpers spüren und den Duft ihrer Haare und ihrer Haut riechen konnte. Er atmete tief durch, damit seine Stimme nicht zitterte. »Weder das eine noch das andere. Wenn du wüsstest … Aber du leidest bestimmt nicht unter Halluzinationen, auch wenn ich nicht die geringste Erklärung für diese verrückte Geschichte habe.«
Erleichterung machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Ehrlich?«
»Ganz ehrlich«, antwortete Niko lächelnd.
»Und weshalb bist du dir da so sicher?« Sanft legte Jessie ihm die Hand auf die Schulter.
Niko zuckte zusammen. Es war, als würde er nur noch seine Schulter spüren, als zögen sich alle seine Nerven auf dieser einen Stelle zusammen, auf der Jessies warme Hand lag. Das Blut schoss ihm in die Wangen. »Weil... weil ich Ähnliches erlebt habe wie du.
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