MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Und deshalb weiß ich auch, dass hinter dem Nebel nicht nur Böses lauert, sondern bestimmt auch noch etwas anderes.«
Zum Glück schien Jessie nicht zu bemerken, dass er rot geworden war. Sie zog ihre Hand zurück und starrte vor sich hin. Ihre Bedenken waren offensichtlich noch nicht zerstreut. In einer plötzlichen Regung beschloss Niko deshalb, ihr alles zu erzählen: von dem geheimnisvollen Buch, seinen seltsamen Träumen und dem Umhang auf dem Speicher bis zu seinem Ausflug in die Welt hinter den Nebeln.
Aufmerksam und mit großen Augen hörte Jessie ihm zu. Es war ihr allerdings nicht anzusehen, ob sie ihm auch Glauben schenkte oder nicht. Doch das war Niko jetzt einerlei. Dass er seine rätselhaften Erlebnisse endlich mit jemandem teilen konnte, nahm ihm ein zentnerschweres Gewicht von seinem Herzen. Ihm war, als würde eine Riesenlast von seinen Schultern fallen - und da erst wurde ihm bewusst, wie stark die mysteriösen Ereignisse der letzten Tage ihn bedrückt hatten. Als würde Jessies bloße Gegenwart ihm Kraft und Stärke verleihen, wurde er von einer neuen Zuversicht erfüllt: Niko wusste plötzlich, dass er das hinter dem Nebel verborgene Geheimnis ergründen würde - koste es, was es wolle! Dennoch schloss er seinen Bericht mit einer Mahnung. »Damit das klar ist«, sagte er eindringlich und legte den Zeigefinger vor seine Lippen. »Kein Wort zu niemandem! Und schon gar nicht zu den Erwachsenen. Versprochen?«
»Versprochen«, hauchte Jessie. An ihren Augen war zu erkennen, dass sie es ernst meinte. Nach einem letzten Blick auf den geheimnisvollen Nebel sah sie Niko an. »Lass uns nach Hause gehen. So schnell wie möglich.«
Obwohl Niko das Verlangen, hinter das graublaue Leuchten zu sehen, kaum bändigen konnte, stimmte er zu. »Einverstanden«, sagte er leise. »Wenn du unbedingt möchtest.« Morgen war schließlich auch noch ein Tag, ging es ihm durch den Kopf. Er konnte ja nicht ahnen, was für eine Überraschung der nächste Tag für ihn bereithalten würde.
A yani und Arawynn waren schon vor Tau und Tag aufgebrochen, um im Wald Pilze zu sammeln. Es war Ayanis Idee gewesen. Die Begegnung mit den marschmärkischen Reitern hatte ihr das Angeln zwar fürs Erste verleidet - die Gefahr, dass die finsteren Recken am Wildfluss auf sie lauerten, war einfach zu groß -, ihren Wunsch nach etwas Abwechslung in der eintönigen Speisefolge aber gleichzeitig beinahe ins Unermessliche gesteigert. Zu ihrer Erleichterung hatte Arawynn ihrem Vorschlag sofort zugestimmt und sich bereit erklärt, sie in den Flüsternden Forst zu begleiten. Ihre Mutter konnte sich deshalb auch nicht länger verweigern und gab schließlich ihre Einwilligung, wenn auch schweren Herzens und nach langem Zögern. Natürlich konnte es Maruna nicht lassen, sie eindringlich zu äußerster Vorsicht zu mahnen und ihnen immer wieder einzuimpfen, sich bloß vor Rhogarrs Schergen in Acht zu nehmen.
Als ob sie das nicht ohnehin getan hätten!
Das zeitige Aufstehen hatte sich gelohnt. In den frühen Stunden des Tages war es noch angenehm frisch, und von der drückenden Schwüle, die schon seit Tagen über dem Nivland lastete, war noch nichts zu spüren. Aber was das Beste war: Im Laubschatten der alten Bäume - Knarreichen, Buntbuchen, Federahorn und Schattenbirken - wuchsen Pilze zuhauf, sodass sich die schmackhaften Früchte des Waldes - Feentrompeten, Drachenröhrlinge und Ellermorcheln - in den Weidenkörben der Geschwister bereits häuften.
Weit vornübergebeugt und die Augen aufmerksam auf den Boden gerichtet, durchkämmten Ayani und Arawynn schweigend eine Schonung Schattenbirken, den bevorzugten Standplatz der köstlichen Schwertschwämmchen, deren Namen von ihrer eigenartigen Form herrührte. Es dauerte auch nicht lange, bis sie fündig wurden. Die Geschwister bückten sich und drehten die kleinen Pilze vorsichtig aus dem mit verwelktem Laub bedeckten Boden, um das unterirdische Wurzelgeflecht nicht zu beschädigen und damit ihr Nachwachsen zu verhindern.
»Übrigens«, meldete Arawynn sich plötzlich zu Wort. »Ich finde, du hast völlig recht.«
Ayani schaute den Bruder überrascht an. »Womit denn?«
»Mit dem, was du zu unserer Mutter gesagt hast«, erklärte Arawynn. »Dass wir uns nicht länger ducken dürfen vor diesem Eindringling und Thronräuber. Und dass wir aufhören müssen, vor seinen Schergen davonzulaufen, sondern uns endlich gegen sie zur Wehr setzen
Weitere Kostenlose Bücher