MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
kleinen Garten hinter der Hütte. Ihr dunkles Gewand reichte bis zum Boden. Obwohl sie kaum älter war als vierzig Sommer, hatten Sorge und Kummer Marunas Züge bereits vor der Zeit altern und ihre Haare grau werden lassen. »Deine Schwester hat recht, Arawynn«, erklärte sie mit einem raschen Blick auf die Vögel. »Es ist erst Erntemond und trotzdem machen sich die Wandergänse bereits auf die Reise ins Winterquartier.«
»Ach soooo«, antwortete Arawynn gedehnt und sah seine Schwester augenzwinkernd an. »Das hast du also gemeint. Na, dann sind sie eben diesmal etwas früher dran.«
»Ja, schon …« Ayani runzelte die Stirn. »Aber auch die Rotschwalben sind bereits gegen Süden gezogen - so früh wie noch niemals zuvor!« Damit wandte sie sich an ihre Mutter. »Hast du so was schon mal erlebt?«
Ein Schatten legte sich auf Marunas Gesicht, während sie für einen Augenblick mit schmalen Augen in die Ferne starrte. »Ja«, sagte sie dann leise. »Aber nur ein einziges Mal. Und zwar in dem Sommer, als Rhogarr von Khelm in unser Land eingefallen ist, um König Nelwyn zu ermorden und den Thron von Helmenkroon an sich zu reißen.«
»Was er nur konnte, weil Herzog Dhrago, dieser feige Verräter, ihm heimlich die Tore zur Burg geöffnet hat«, fiel Arawynn mit finsterer Miene ein. »Sonst hätte dieser marschmärkische Hund König Nelwyn doch niemals besiegt!«
Ayani schluckte. Ihr Blick sprang unruhig zwischen der Mutter und dem Bruder hin und her. »Aber wie konnte Rhogarr unseren König denn töten? Nelwyn hatte doch Sinkkâlion, dessen magische Kräfte ihn unbesiegbar machten. Weißt du mehr darüber, Mutter?«, fragte sie leise. »Oder wusste es der Vater?«
O bwohl es draußen gleißend hell war und die Augustsonne brütend heiß vom Himmel brannte, ballte sich im Innern des Ladens schummeriges Dämmerlicht zusammen. Nikos Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, das wie ein Schleier über der Einrichtung und den Gegenständen lag. Allmählich aber wurde Niko klar, dass er wohl in ein Antiquariat geraten war. Vielleicht auch eher in einen Trödelladen oder in eine Mischung aus beidem. In dem niedrigen Raum, der das gesamte Erdgeschoss einnahm und höchstens zweieinhalb Meter bis zur Decke maß, herrschte jedenfalls ein heilloses Durcheinander.
Er war mit wurmstichigen Schränken, Kommoden und Regalen vollgestellt, in denen sich ein buntes Sammelsurium unterschiedlichster Dinge stapelte. Alte Bücher hauptsächlich, aber auch andere Druckerzeugnisse wie Zeitungen und Zeitschriften oder Comics, Landkarten und Grafiken und vieles andere mehr. Daneben gab es jede Menge Büsten, Vasen, Leuchter, Gemälde, Spiegel, Skulpturen und andere Kunst- und Gebrauchsgegenstände. In einer Ecke erblickte Niko sogar zwei Schränke, in denen eine ganze Reihe alter und offensichtlich bereits gebrauchter Kleider und Kostüme hingen. Alles war von einer dünnen Staubschicht bedeckt, und darüber schwebte ein feiner Geruch nach Druckerschwärze, altem Papier und Leder, vermischt mit dem Hauch eines seltsamen, leicht bitteren Duftes, der ihm so unbekannt wie verlockend vorkam.
Niko sah sich nur flüchtig um. Er war schließlich nicht gekommen, um das kuriose Sammelsurium zu bestaunen. Zu seiner Erleichterung hatte er sich nicht getäuscht: Herr Noski hielt sich tatsächlich im Laden auf. Es schien allerdings eher unwahrscheinlich, dass er nach Niko gerufen hatte. Der Senshei lehnte nämlich am altertümlichen Verkaufstresen in der hintersten Ecke des Raumes - das metallene Monster von Ladenkasse, das darauf thronte, stammte bestimmt noch aus den Anfangsjahren des letzten Jahrhunderts! - und war in ein lebhaftes Gespräch mit dem dahinter stehenden Männchen verstrickt.
Niko hatte selten zwei Männer gesehen, die so verschieden waren: Der Senshei mit seiner stattlichen und aufrechten Gestalt erschien ihm wie die Verkörperung purer Energie. Nur die silbrigen Fäden, die im glänzenden Tiefschwarz seiner langen Haare aufschimmerten, verrieten, dass er gar nicht mehr so jung war und die vierzig wahrscheinlich längst überschritten hatte. Sein Gesprächspartner - der verwaschene und fadenscheinige Kittel, der von seinen gekrümmten Schultern hing, deutete darauf hin, dass es sich um den Ladenbesitzer handelte - war das offensichtliche Gegenteil: Seine schmächtige, gebeugte Gestalt, das Aschgrau seines faltigen Gesichts und die schlohweißen,
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