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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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an, dass Julia mit ihren Puppen und Stofftieren spielte und vielleicht die Gastgeberin einer Teeparty mimte, wie Clare selbst in ihrer Kindheit.
    Sie hörte das Wort »Mommy«, gefolgt von einer Pause; dann sagte Julia einige Worte, die Clare nicht richtig verstehen konnte. Sie schlich näher an die halb geöffnete Tür heran und sah, wie das Mädchen in sein leuchtend gelbes Plastiktelefon sprach. Clare wusste sehr wohl, dass Kinder am Telefon mit imaginären Personen reden; dazu waren Spielzeugtelefone schließlich da. Doch Julia führte das Gespräch mit einer solchen Konzentration, dass Clare aufhorchte und genauer hinhörte.
    »Wenn Mommy arbeiten geht«, hörte sie, »passt Linda auf mich auf« Es folgte eine Pause, dann: »Daddy geht auch arbeiten, aber manchmal bleibt er zu Hause.«
    Julia verstummte wieder und nickte, während sie den Hörer ans Ohr hielt; dann sagte sie: »Ich mag Linda … ja … nein … doch, wirklich … dich mag ich auch, Mommy …«
    In diesem Augenblick bemerkte sie Clare in der Tür, verstummte und legte den Hörer auf. Verlegen, dass sie dabei ertappt worden war, wie sie ihr eigenes Kind ausspionierte, betrat Clare das Zimmer und kniete sich auf Augenhöhe neben Julia.
    »Mit wem hast du gesprochen, Schatz?«
    Julia senkte den Blick und gab keine Antwort.
    »Hast du mit Mommy gesprochen?«, fragte sie fröhlich und versuchte, ihre Bereitschaft zu vermitteln, dieses Spiel mitzuspielen.
    Als Antwort nickte Julia ernsthaft, blickte aber immer noch nicht hoch.
    »Was hat Mommy denn gesagt?«
    »Sie hat gesagt: ›Ich vermisse dich, Melanie.‹«
    Clare erstarrte. »Melanie?«
    Erschrocken sah Julia hoch, wie jemand, der sich verplappert und ein großes Geheimnis verraten hatte.
    »Mommy nennt dich aber nicht Melanie, oder?«, entgegnete Clare.
    Das Kind antwortete immer noch nicht, blickte nur weiter angsterfüllt ihrer Mutter in die Augen, als wäre sie bei einer schlimmen Lüge erwischt worden und wartete nun darauf, ausgeschimpft zu werden.
    »Ist schon gut, Schatz«, sagte Clare beruhigend. »Mommy ist dir nicht böse. Aber warum hast du gesagt, dass ich dich Melanie nenne?«
    Julia verdrehte eine Weile die Finger, sichtlich verlegen und anscheinend auf der Suche nach einer Erklärung. Schließlich fand sie eine.
    »Nicht du«, sagte sie, »meine andere Mommy.«

10
    Er stand in einem Keller. Schwaches Licht sickerte zu ihm herein. Der Boden war uneben, feste Erde, in der hier und da Steine eingebettet waren. Die kahlen Wände bestanden aus alten Ziegelsteinen, die stellenweise abbröckelten.
    Er hatte keinen blassen Schimmer, wie er dort hingekommen war. Er wusste nur, dass an diesem Ort etwas Furchtbares geschehen war. Etwas, woran er sich nicht erinnern wollte.
    Etwas, das er getan hatte.
    Aber was war es? Sein Kopf war leer. Er stand unter Schock – und deshalb konnte er sich an nichts erinnern.
    Er wusste, dass die Antwort ganz nahe war, irgendwo in der Dunkelheit. Er musste nichts weiter tun, als einen Schritt in den dunkelsten aller Schatten zu tun, und er würde es erfahren.
    Doch er war vor Angst wie gelähmt und konnte sich nicht rühren. Er klammerte sich an den Gedanken, dass er nicht in Panik geraten durfte. Ihr aus dem Weg zu gehen war so wie unter Wasser die Luft anhalten. Seine Lungen brannten und würden gleich platzen. Plötzlich rang er keuchend um Atem, nach vorn gebeugt, den Kopf zwischen den Knien, doch es ging vorbei. Während sein Atem sich beruhigte, beherrschte ihn nur ein einziger Gedanke: Er musste hier raus.
    Er blickte sich noch einmal um und entdeckte eine Öffnung. Zunächst erschien sie so dunkel wie alles andere; dann aber sah er in der Ferne eine Spur Licht. Er rannte los und schürfte sich an den rauen Wänden die Hände auf. Er stolperte um eine Ecke, und noch eine, und fand sich in einem langen Gang mit einer Tür am hinteren Ende wieder, die halb verrottet war und schief in den Angeln hing, sodass Tageslicht durch die Ritzen fiel. Er blieb stehen.
    Einige Augenblicke lang bewegte er sich nicht, denn seine überstürzte Hast in die Freiheit wurde plötzlich von der Furcht vor dem gehemmt, was ihn draußen erwarten mochte. Geräuschlos schlich er voran und lauschte. Er hörte nur das Säuseln eines leichten Windes, aber keine Bewegungen und keine Stimmen. Vorsichtig schob er die verwitterte Tür wenige Zentimeter weit auf, so langsam, dass ein heimlicher Beobachter die Bewegung kaum bemerkt hätte. Er spähte hinaus und sah ein Gewirr aus

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