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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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sie musste es von Julia hören.
    »Das bin ich«, sagte Julia beinahe verwundert. »Wer denn sonst?«
    Doch zwischen dem Mädchen auf dem Foto und Julia gab es keinerlei Ähnlichkeit. Zum einen hatte das Mädchen auf dem Bild dunkles Haar. Das Gesicht war weniger rund, und die Züge waren ausgeprägter; vielleicht war es auch nur der Gesichtsausdruck, der sie so erscheinen ließ. Sie lächelte nicht, schaute beinahe finster in die Kamera. Es war nicht das Gesicht eines Kindes, dessen Leben voller Freude und Lachen war. Es war nicht das Gesicht eines Mädchens wie Julia.
    Tom sah zu Jennifer und wartete auf deren Bestätigung. Sie nickte, wobei ihr Blick mit einer Mischung aus Erstaunen und Furcht auf Julia ruhte.
    »Es stimmt«, sagte sie. »Das ist Melanie, meine Schwester.«

20
    Jennifers Familienname war Sawyer, geborene Hagan. Ihre Schwester hieß mit vollem Namen Melanie Hagan.
    »Wie war dein zweiter Vorname?«, hatte sie Julia gefragt.
    »Anne«, hatte Julia geantwortet, ohne zu zögern und mit einer Stimme, aus der Verwunderung darüber sprach, dass jemand eine so dumme Frage stellen konnte.
    Nun saßen sie auf den Stufen -Jennifer, Tom und Clare –, während Julia ein paar alte Sachen von Melanie durchsah, die sie in der Abstellkammer entdeckt hatte. Jennifer hatte angeboten, unten in der Küche Kaffee zu kochen, doch irgendwie erschien es nicht passend, ja unmöglich, ihr Zusammentreffen wie ein geselliges Beisammensein zu behandeln. Außerdem wollten Clare und Tom zu jeder Zeit genau wissen, wo Julia sich gerade aufhielt. Solange sie hier waren und auf der Treppe saßen, würde das Mädchen nicht einfach an ihnen vorbeihuschen und aus dem Haus entwischen können, so wie sie hineingeschlüpft war.
    »Meine Mutter ist nie darüber hinweggekommen, dass Melanie so plötzlich verschwunden ist«, erzählte Jennifer. »Sie war immer davon überzeugt, dass ihr irgendetwas Schreckliches zugestoßen war. In den Nächten erwachte sie oft schreiend aus Albträumen, über die sie nie reden wollte.«
    »Warum ist Ihre Schwester davongelaufen?«, fragte Clare.
    Jennifer zuckte die Schultern. »Kinder.« Es war sowohl Erklärung als auch das Eingeständnis, dass manche Dinge das menschliche Begriffsvermögen überstiegen.
    »Aber es muss doch eine Suche gegeben haben«, meinte Clare. »Ein Kind kann doch nicht einfach verschwinden. Sie hätte entführt sein können, verletzt – alles Mögliche.«
    »Sie hatte an der Bushaltestelle eine Fahrkarte nach Buffalo gekauft. Von dort wurde sie angeblich von einem Paar mitgenommen, das nach Osten fuhr, bis kurz hinter Rochester. Danach hat sich ihre Spur verloren.«
    »Hatte sie viel Geld dabei?«, fragte Tom.
    »Sie hatte das Haushaltsgeld unserer Mutter für die ganze Woche mitgenommen. Außerdem ungefähr zwanzig Dollar aus meinem Portemonnaie. Melanie wurde nicht entführt. Sie ist weggelaufen. Daran besteht kein Zweifel.«
    »Und Sie glauben, dass Ihre Mutter deswegen gestorben ist?«, fragte Clare.
    Wieder zuckte Jennifer die Schultern. »Herzversagen, sagten die Ärzte. Das ist jetzt fast acht Jahre her.«
    Eine Pause entstand, und keiner wusste so recht, wie er sie ausfüllen sollte. Im Hintergrund konnten sie Julia hören, die in den Sachen kramte, Schachteln öffnete, Dinge hin und her schob. »Das ist schon in Ordnung«, hatte Jennifer vorher gesagt. »Das sind alles meine Sachen, nichts von Joe. Sie kann sich anschauen, was sie will.«
    »Hat Joe hier schon gewohnt, bevor Melanie weggelaufen ist?«, fragte Tom nun.
    »Ja, wir alle vier. Ich selbst, Joe, meine Mom und Melanie.«
    »Und Ihr Vater?«
    »Dad war schon lange fort. Melanie kann nicht älter als vier gewesen sein, als er abgehauen ist. Er war ein Trinker. Niemand hat ihn vermisst, am wenigsten meine Mom. Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt.«
    Tom dachte an die Puppen, mit denen Julia vor fünf Jahren in Hunts Praxis gespielt hatte, und erinnerte sich, dass Julia ihren »anderen Daddy« stets auf Abstand gehalten hatte, dass er nie richtig zur Familie gehörte.
    »Tja«, sagte Jennifer nach einer weiteren Pause, »was tun wir jetzt?«
    »Ich wollte, ich wüsste es«, antwortete Tom. »Wie ich Ihnen schon sagte, wissen wir nicht, wie oder warum, aber unsere Tochter scheint mit bestimmten Erinnerungen geboren zu sein, die Ihrer Schwester gehörten. Ich habe es erst letzte Nacht herausgefunden, aber offenbar ist das ein Phänomen, das erstaunlich oft vorkommt.«
    Jennifer hörte aufmerksam zu, als Tom ihr

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