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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Menschen aufnehmen, durch welche Mechanismen auch immer … ich glaube nicht, dass es wichtig ist. Wäre es wichtig, hätte sich schon viel mehr ergeben, als bislang der Fall ist. Meines Erachtens verändert es die Lebens- und Verhaltensweise des Menschen nicht allzu sehr, ob im Osten oder im Westen. Im Allgemeinen verblassen solche Erinnerungen, was immer sie sind und woher sie stammen, sobald ein Kind ins Teenageralter kommt. Letzten Endes ist es bedeutungslos. Es ist wie ein Wollknäuel mit losem Ende. Das Leben ist voller loser Enden.«
    »Und wir sollten nicht daran ziehen?«
    »Doch. Ziehen Sie auf jeden Fall daran. Aber erwarten Sie nicht, dass Sie das weit bringt. Sie werden das Knäuel nicht entwirren können, Sie werden nur längere lose Enden haben. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Tom. »Trotzdem …«
    »Sie wollen der Sache auf den Grund gehen, ich weiß.«
    »Werden Sie Julia weiter behandeln, auch wenn wir diesen Lewis kontaktieren?«
    »Natürlich«, antwortete Hunt, beinahe erbost darüber, dass Tom ihm diese Frage gestellt hatte. »Ich sagte Ihnen doch schon, dass ich Oliver Lewis nicht für einen Scharlatan halte, auch wenn es viele davon gibt. Im Gegenteil – ich wäre daran interessiert, Lewis einmal zu begegnen.«
    »Wissen Sie, am meisten beunruhigt Clare und mich, dass wir Julia in eine verrückte Welt hineinziehen – Geisterjäger, Wahrsager, Seancen im Wohnzimmer, Sie wissen schon. Haben wir das Recht, ihr das anzutun?«
    »Das sehen Sie verkehrt. Wissen Sie, was mir heute Morgen aufgefallen ist? Dass Julia selbst keine Anzeichen von Gestörtheit zeigt. Und doch war das Mädchen, an das sie sich zu erinnern behauptet, eindeutig gestört. Ich denke, diese Distanziertheit ist ein gutes Zeichen, und ich möchte ihr helfen, daran festzuhalten.«
    »Ich habe den Eindruck«, sagte Tom, »dass ihre Melanie-Persönlichkeit manchmal stärker ist und manchmal weniger stark. Aber meist erinnert sie sich auf eine irgendwie unpersönliche Weise daran, wie Sie gerade schon sagten. Als wäre es nur eine Geschichte, die sie liest.«
    »Genauso war es heute Morgen, Tom. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich Julia eine Zeit lang gern mehrere Male in der Woche sehen. Ich betrachte es aber nicht als eine ›Behandlung‹, weil ich nicht will, dass sie es so sieht. Ich bin bloß jemand, mit dem sie reden kann, außer der Reihe sozusagen. Ein Bezugspunkt. Und ein Blitzableiter, falls sie einen brauchen sollte.«
    Die Männer reichten einander die Hände, als Tom ging. Dank der Aussagen Hunts fühlte er sich sicherer. Aus dem Auto rief er Clare übers Handy an. Sie beschlossen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und zu handeln, wo sie bisher gezögert hatten, und sich mit Dr. Oliver Lewis in Verbindung zu setzen.

22
    »Genau genommen«, sagte die trockene, zurückhaltende Stimme am Telefon, »sind Sie ein kontaminierter Fall und damit für Forschungszwecke eigentlich wertlos.«
    »Kontaminiert?«
    »Verzeihen Sie, das Wort klingt beleidigend, ist aber nicht so gemeint. Es bedeutet lediglich, dass Sie schon Kontakt mit der Familie aufgenommen haben, aus der die Erinnerungen Ihrer Tochter zu stammen scheinen. Deshalb würde ich erst danach ins Spiel kommen, nicht vorher. Und das bedeutet, dass ich ein Element der Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten nicht ausschließen kann.«
    »Dr. Lewis, ich versichere Ihnen …«
    Lewis unterbrach Tom mit einem verständnisvollen Lachen.
    »Bitte glauben Sie nicht, dass ich Ihnen Unaufrichtigkeit vorwerfe, Mr. Freeman. Nach allem, was Sie mir berichtet haben, bin ich überzeugt, dass Sie nichts zu gewinnen hätten, wenn Sie eine solche Geschichte bloß erfinden. Die andere Familie allerdings … nun, mit der müsste ich erst einmal sprechen, bevor ich zu einer Entscheidung gelange.«
    »In Ordnung«, sagte Tom, »ich verstehe, was Sie meinen. Vom akademischen Standpunkt aus haben Sie Recht. Aber meine Frau und ich versuchen nur zu begreifen, was uns passiert ist … und offen gesagt, suchen wir vor allem Hilfe.«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen die Art von Hilfe geben kann, die Sie möchten«, entgegnete Lewis. »Wenn Sie Erklärungen suchen – ich habe keine.«
    »Meine Frau und ich müssen so viel wie möglich über die Sache herausfinden.«
    Eine Pause entstand. Tom fragte sich, was der Mann wohl dachte. Bedeutete die Pause eine stumme Warnung? Interessierten er und Clare sich für etwas, über das sie lieber nicht zu viel erfahren

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