Mysterium
Bekanntschaft zu machen.«
»Wer sind Sie?«, knurrte Sawyer.
Tom stellte Lewis vor. Keiner der beiden Männer machte Anstalten, dem anderen die Hand zu reichen.
»Wenn jemand mich fotografiert, will ich vorher gefragt werden«, sagte Sawyer.
Lewis ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Entschuldigung, Mr. Sawyer. Ich wollte Sie nicht beleidigen und hatte auch nicht die Absicht, Sie in Verlegenheit zu bringen. Das Bild ist für meine persönlichen Aufzeichnungen.«
»Was für persönliche Aufzeichnungen?«
»Dr. Lewis hat viele Jahre damit verbracht, Phänomene zu untersuchen, wie wir sie kürzlich mit meiner Tochter erlebt haben, bei Ihnen zu Hause«, erklärte Tom. »Solche Dinge geschehen überall auf der Welt, aber ich möchte es aus offensichtlichen Gründen gern besser verstehen. Ihre Frau übrigens auch. Ich bin sicher, Sie haben Verständnis dafür, Mr. Sawyer. Und was unser Anliegen betrifft – ich sagte es Ihnen eben ja schon. Wir möchten mit den Polizisten reden, die nach Melanie gesucht haben. Wir möchten herausfinden, ob da vielleicht noch ein Stein ist, der nicht umgedreht wurde, oder eine Fährte, die man übersehen hat.«
»Sie glauben, dass ich Sie hinhalte? Sie glauben, dass ich was zu verbergen habe?«
»Mr. Sawyer«, sagte Lewis in dem beschwichtigenden Tonfall, den er schon bei Jennifer so wirkungsvoll eingesetzt hatte, »wir versuchen nur, herauszubekommen, wie weit Julias Erinnerungen sich mit den Ereignissen in Melanies Leben decken. Ihre Frau hat deutlich gemacht, dass weder Sie noch sie selbst etwas zu verbergen haben. Es liegt uns nichts daran, das Gegenteil zu beweisen.«
Sawyer dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Ich könnte jetzt was zu trinken vertragen. Da drüben ist ‘ne Kneipe.«
Ohne auf ihre Antwort zu warten, führte er sie zu einer Tür neben einem abgedunkelten Fenster, auf dem Nick’s stand. Das Innere war schlicht: Ein paar Tische waren im Raum verteilt, und hinter der Bar hing ein matter Spiegel. Eine Hand voll Männer saß herum; sie waren offenbar aus der Fabrik gekommen, denn als Sawyer eintrat, hoben sie den Blick und begrüßten ihn mit einem Kopfnicken. Tom fragte Sawyer, was er trinken wollte, doch der bestand darauf, dass die Runde auf ihn ging. Er und Lewis tranken ein Bier, Tom ein Mineralwasser. Tom bemerkte ein Zucken in Sawyers Gesicht, als er das Wasser bestellte, doch es kam kein Kommentar.
»Okay«, sagte Sawyer, als er mit den Getränken zurückkam, »gehen wir da rüber. Ich weiß nicht, was dieser ganze Blödsinn soll, und es ist mir auch egal. Sie wollen Melanie finden – nur zu, suchen Sie. Ich könnte mir vorstellen, sie haust in irgendeiner Wohnwagensiedlung in Vegas oder Reno, verdient sich ihr Geld als Nutte und lebt mit einem Zuhälter zusammen, der sie verdrischt, wenn er einen gesoffen hat. Das würde zu ihr passen. Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber lassen Sie mich und meine Frau aus der Sache raus, kapiert?«
»Sie reden von Melanie, als wären Sie sicher, dass sie noch lebt«, bemerkte Tom. »Gibt es einen Grund dafür?«
»Ich habe weder Grund zu glauben, dass sie lebt, noch, dass sie tot ist. Ich weiß nur, dass sie verdammt lange weg ist.«
»Gab es Probleme zwischen Ihnen und Melanie?«, fragte Tom. »Ist sie deshalb weggelaufen?«
Sawyer sah Tom an, als hätte er ihm am liebsten eins aufs Maul gegeben, doch er hatte beschlossen, friedlich bei der Sache mitzuspielen, und blieb bei seiner Entscheidung – bis jetzt.
»Ja, da gab es ein Problem. Das Problem war, dass Melanie ein Miststück gewesen ist. Sobald ihre Mom und ihre Schwester aus dem Haus waren, lief sie immer fast nackt herum und fragte mich, ob es mir gefiele, was ich sah. Oder sie kam spät abends nach der Nachtschicht in mein Zimmer, wenn ich geschlafen habe … Sie verstehen, was ich meine. Und wissen Sie, was die Leute den Cops gesagt haben, als die überall herumfragten, nachdem das kleine Biest verschwunden war? Dass Melanie von allen Mädchen in der Gegend am besten einen blasen könne, Sie verstehen? Und sie war gerade mal dreizehn. Das hat mich zwar nicht überrascht, aber ich hab dafür gesorgt, dass ihre Mutter und ihre Schwester nichts davon mitkriegten. Die hatten schon genug Probleme.«
Er beugte sich vor und legte die Arme auf den Tisch, der unter dem Gewicht leicht zu ihm kippte.
»Aber zwischen dem Mädchen und mir ist nie was gewesen. Ich hab meine Frau respektiert, und ich hab meine Ehe respektiert. So ist es immer
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