Mysterium
hob sie die Fäuste und trommelte ihm auf die Brust. »Wie kannst du so etwas sagen? Wie kannst du so etwas nur denken? Du Mistkerl, ich … ich liebe dich!«
Erst als ihre Wut verraucht war, fiel sie ihm in die Arme und drückte ihre Wange an seine. »Ich liebe dich«, wiederholte sie, diesmal flüsternd.
Tom spürte ihre Tränen auf der Wange. »Ich liebe dich auch. Und es tut mir Leid, aber ich konnte es dir nicht sagen.«
»Ich weiß.« Clare wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Aber nun hast du es mir gesagt. Und was tun wir jetzt?«
»Ich weiß es nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Warum reden wir nicht mit jemandem? Ich jedenfalls bin mit meinem Latein am Ende. Und du auch.«
»Und mit wem sollten wir reden?«
»Mit Oliver Lewis. Oder Brendan Hunt.«
»Oliver ist in Europa. Und Hunt ist Kinderpsychologe.«
»Was macht das für einen Unterschied?« Sie lachte humorlos. »Erwachsene sind große Kinder. Und Seelenklempner ist Seelenklempner. Außerdem ist er Julias Psychiater, und die Sache betrifft sie.«
»Vielleicht hast du Recht. Ich rufe ihn morgen an.« Als sie dann in der Küche standen und einander umarmten, schlug irgendwo in der Ferne eine Kirchturmuhr. Es war drei Uhr in der Frühe.
»Heute«, sagte Clare. »Du rufst ihn heute an.«
31
Murray Schenk tat das, was für einen Polizisten das Normalste von der Welt war, ob pensioniert oder nicht: Er machte Routinekontrollen. Es war eine überraschend willkommene Abwechslung vom Fliegenfischen. Einmal Cop, immer Cop, sagte er sich. Doch es war mehr als das. Es gab zu viele lose Enden im Fall Hagan und zu viele lockere Schrauben in der Freeman-Geschichte; alles zusammen ergab einen Berg von Problemen, denen jemand auf den Grund gehen sollte – und soweit Schenk sehen konnte, war er der Einzige, der dazu bereit war.
Zudem machte ihm der ungute Gedanke zu schaffen, dass alles sich vielleicht zum Guten gewendet hätte, hätten er oder Edwards oder sonst jemand ein paar Routinekontrollen mehr gemacht – damals, als die kleine Hagan verschwunden war. Vielleicht war es jetzt zu spät, als dass es noch irgendetwas änderte, doch Schenk wollte es wenigstens versuchen.
Als Erstes hatte er Oliver Lewis gründlich durchleuchtet – im Internet und in verschiedenen Nachschlagewerken. Es gab keinen Zweifel, dass der Mann mit seinen Gedanken und Theorien über Reinkarnation nach den Maßstäben der meisten seiner Kollegen ziemlich allein dastand, doch er war ein hervorragender Wissenschaftler; man konnte ihn nicht einfach als Spinner abtun. Auch Tom Freeman war auf seinem Gebiet ein Könner: Auf preisgekrönte Werbespots waren preisgekrönte Dokumentarfilme gefolgt. Doch Schenk hatte bereits bemerkt, dass Tom Freeman keinen Alkohol trank, was darauf hindeuten konnte, dass er es früher einmal zu ausgiebig getan hatte. Das musste nachgeprüft werden.
Schenk war mit einem Journalisten befreundet, dessen Tochter in New York für den Sender CBS arbeitete. Sie kannte Tom Freeman nur durch seine Arbeiten, schlug aber jemanden vor, der Schenk vielleicht helfen konnte. Nach ein paar weiteren Anrufen fand Schenk sich in einem Schneideraum mit einem Mann wieder, der bei mehreren Projekten Toms als Koproduzent fungiert hatte. Schenk erklärte dem Mann sein Interesse an Tom, indem er behauptete, Tom habe die Aufmerksamkeit eines bestimmten Medienkonzerns erregt, wo man in Erwägung ziehe, ihm einen großen Auftrag zu erteilen. Schenk hatte den Eindruck, dass der Mann ihm nicht glaubte, aber das schien dem Burschen egal zu sein, denn er redete bereitwillig.
»Das ist kein Geheimnis«, sagte er, als er über Toms frühere Probleme mit Alkohol und Drogen sprach. »Er geht ganz offen damit um – wie viele andere, die das durchgemacht haben.«
»Hatte er das Alkoholproblem, als er noch in der Werbung arbeitete, oder danach?«
»Sowohl als auch. Es hat zu der Zeit angefangen und ging anschließend weiter. Bis er eines Tages ein paar ernste Entscheidungen über sein Leben treffen musste. Das war ungefähr zu der Zeit, als er Clare begegnet ist.«
»Seiner Frau?«
»Ja, sie ist großartig. Und sie war sehr wichtig bei seiner Rehabilitation.«
»Hat er sie dort getroffen? Bei der Reha, meine ich?«
»Nicht in dem Sinne, dass sie zum Programm gehörte. Sie hatte nach seinem Unfall zufällig einen Krankenbesuch gemacht und …«
»Ein Unfall?«
»Ja. Tom war in
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