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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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entspannten, aber konzentrierten Blick an, der, wie Hunt vermutete, eine Routinetechnik aus seinem Vorrat an Verhörtricks war.
    »Ich werde Ihnen ein paar Dinge über Tom Freeman erzählen, die Sie vielleicht noch nicht wissen«, begann Schenk, »und ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, wie Sie aus professioneller Warte darüber denken.«
    »Legen Sie los.«
    Schenk umriss mit knappen Worten, was er über Toms Suff- und Drogenzeiten erfahren hatte, und ließ auch die letzte Episode nicht aus, die ihn vor zehn Jahren ins Krankenhaus gebracht hatte. Hunt nickte gedankenvoll, während er zuhörte, und sagte dann, dass Tom ihm diese Geschichten selbst erzählt hatte.
    »Wenn Sie wissen wollen, ob er vollständig geheilt ist – soweit wir den Ausdruck ›Heilung‹ bei Suchtproblemen überhaupt verwenden können –, würde ich sagen, ja, er ist geheilt. Seit er nach dem Unfall im Krankenhaus aufgewacht ist, hat er kein einziges Glas angerührt und keinen Joint geraucht.«
    »Okay«, fuhr Schenk fort. »Jetzt erzähle ich Ihnen etwas anderes, das Sie vielleicht noch nicht wissen.«
    »Wenn es um das Mädchen geht, das zur selben Zeit bei der Feierlichkeit verschwunden ist …« Hunts Tonfall war höflich, ließ Schenk jedoch wissen, dass er keine Zeit damit verschwenden wollte, alte Geschichten durchzuhecheln.
    »Das hat er Ihnen also auch erzählt?«
    Hunt nickte. »Ich glaube nicht, dass er ein Geheimnis daraus macht. Außerdem wissen wir nur, dass das Mädchen nach Albany wollte. Ob sie bis dort gekommen ist, wissen wir nicht mit Sicherheit.«
    »Das stimmt, aber gehen wir einmal davon aus, sie ist dort angekommen …«
    »Ich nehme an, Mr. Schenk, Sie wollen mich fragen, ob ich es für möglich halte, dass Tom Melanie Hagan in einem Zustand vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit getötet hat – in einer durch Alkohol und Drogen verursachten Amnesie. Ist das Ihre Frage?«
    Schenk nickte. »Ja.«
    »Nun, die Möglichkeit besteht. Doch es ist eine entfernte Möglichkeit. Es ist höchst unwahrscheinlich.«
    »Sie glauben nicht, dass er der Typ ist, der so etwas tut. Wollen Sie das damit sagen?«
    »Sie können es so ausdrücken, wenn Sie wollen.« Hunt zuckte die Schultern. »Ich bin nicht sein Psychiater, und daher kann ich nicht behaupten, dass es eine klinische Bewertung ist. Es ist ein Instinkt.«
    »Wir haben es hier also schlicht und einfach mit einem Zufall zu tun. Das Verschwinden des Mädchens, Toms Blackout … und dass seine Tochter mit den Erinnerungen des vermissten Mädchens geboren wird. Alles purer Zufall.«
    Hunt holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Offensichtlich gibt es hier mehr als nur Zufall. Aber wenn Sie mich fragen, was es ist – ich habe keine Ahnung, Mr. Schenk.«
    »Bitte nennen Sie mich Murray.«
    »Gern, Murray.«
    Stille breitete sich aus. Schenk nahm noch einen Schluck aus seiner Flasche und schmatzte mit den Lippen. »Ob sie vielleicht zu sagen versucht, wo sie begraben ist? Würde das Sinn machen, Brendan? Ist es vielleicht das?«
    Hunts Blick, der zu den Bäumen geschweift war, die er durch die halb geöffnete Jalousie sehen konnte, richtete sich wieder auf Schenk.
    »Sie gehen also davon aus, dass sie tot ist, Murray?«
    »O ja. Sie ist ganz bestimmt tot.«

35
    Julia ging um neun zu Bett und bat ihren Vater, nach oben zu kommen und ihr wie immer einen Gutenachtkuss zu geben. Als Tom ihr Zimmer betrat, lag sie mit geschlossenen Augen im Bett und atmete regelmäßig. Er wusste nicht, ob sie wirklich schlief oder es nur vorgab und auf der Lauer lag, um ihn zu überraschen, wie sie es manchmal tat. Wie auch immer, er würde ihr Spiel mitspielen.
    Auf Zehenspitzen ging er durchs Zimmer, so leise, dass sie ihn nicht einmal hören würde, wenn sie wach war. Er würde es sein, der sie überraschte. Als Tom an ihrem Bett war, beugte er sich über sie. Sie reagierte immer noch nicht: kein verräterisches Zucken der Lider oder der Mundwinkel wie sonst, wenn sie versuchte, ihr Lachen zu unterdrücken. Vielleicht, sagte sich Tom, ist sie wirklich schon eingeschlafen. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft auf die Stirn, gleich unter dem Haaransatz.
    »Gute Nacht, mein Schatz«, flüsterte er und knipste die Lampe neben ihrem Bett aus. An der Tür blieb er stehen und drehte sich um, betrachtete sie ein letztes Mal. Sie hatte sich nicht bewegt. Er ging zur Tür und wollte sie hinter sich zuziehen.
    »Wie lange willst du noch warten, Schwanzlutscher!«
    Tom fuhr herum.

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