Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
Vom Netzwerk:
er die Haustür und ging hinaus in die Nacht.
    »Wo geht Daddy hin?«
    Clare drehte sich um. »Mach dir keine Sorgen, Schatz. Er muss noch etwas erledigen. Er bleibt nicht lange fort.« Sie stieg die Treppe hinauf »Komm jetzt, ab ins Bett mit dir.«

37
    Erst als er die Haustür hinter sich zugezogen hatte, traf es ihn wie ein Blitz. Vielleicht war es eine Reaktion durch die Nachtluft auf die Flasche Scotch, die er konsumiert hatte. Wie auch immer, es zeigte sich, dass die Geistererscheinung, die er vor einer guten Stunde erlebt hatte, Recht hatte – vielleicht hatte der Whisky tatsächlich Dinge in seinem Gedächtnis gelöst, die nur der Alkohol hervorbringen konnte. »River und Pike« hörte sich plötzlich irgendwie vertraut an.
    Tom ging mehr als fünfzehn Minuten über die dunklen Straßen, konnte den Begriff aber immer noch nicht richtig unterbringen. Schließlich – als er spürte, dass die frische Luft ihm allmählich einen klaren Kopf verschaffte – legte er einen Zwischenstopp bei einem Spirituosengeschäft ein und kaufte sich eine halbe Flasche Scotch. Er steckte sie in eine braune Papiertüte und nippte diskret daran, während er ein Stück weiter schlenderte.
    Mit einem Mal fiel es ihm ein.
    Am Fußende seines Krankenhausbettes hatte ein Arzt gesessen und ihm gesagt, dass er sterben würde, wenn er seine Gewohnheiten nicht änderte. Dabei hatte der Arzt ihm beiläufig mitgeteilt, dass man ihn an einem Ort namens River und Pike aus einem Graben gezogen hatte. Der Ort wurde sogar in seinen Entlassungspapieren erwähnt. Doch diese Angabe bedeutete Tom so wenig wie damals nach dem Unfall. Er erinnerte sich verschwommen, dass er damals daran gedacht hatte, den Ort zu besuchen, an dem er beinahe gestorben wäre, es aber nie getan hatte, denn in der Zwischenzeit hatte er Clare wiedergetroffen. Alkohol und Drogen waren Teil seiner Vergangenheit geworden. Er hatte sich vorgenommen, einen Neuanfang mit weißer Weste zu machen, und er hatte es geschafft.
    Mit weißer Weste? Bei dem Gedanken, was diese Worte bedeuteten, erschauerte er. Ja, sicher, er hatte sich der Fantasie hingegeben, ganz von vorn anzufangen, frei von der Vergangenheit. Eine Zeit lang hatte er geglaubt, es wäre ihm gelungen. Doch man war niemals frei von den Dingen, die man getan hatte. Auf Schritt und Tritt wurde man von der eigenen Vergangenheit begleitet. Tom konnte nichts anderes tun, als sich dieser Vergangenheit zu stellen. Er war zu weit gegangen, um wieder den Kopf in den Sand zu stecken. Damals hatte er Schritt für Schritt getan, um nüchtern zu werden. Nun wurde er wieder betrunken und ging Schritt für Schritt zurück in die eigene Vergangenheit.
    Als er ein freies Taxi sah, winkte er es heran. Er wusste aus Erfahrung, dass Taxifahrer nicht für Leute stoppten, die auf offener Straße aus einer Flasche tranken, ob sie nun in einer Papiertüte steckte oder nicht; deshalb schob er die Flasche in die Jackentasche. Zum Glück beherrschte er immer noch das Kunststück, nüchtern zu wirken, selbst wenn er weit davon entfernt war, und hinten einzusteigen, bevor der Fahrer seinen Atem roch und seine undeutliche Aussprache hörte.
    »Wohin?«
    »River und Pike.«
    Er sah, wie der Fahrer in den Innenspiegel blickte. »River und Pike? Wo soll das denn sein?«
    »Ich dachte, als Taxifahrer wüssten Sie das.«
    Der Fahrer kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Warten Sie mal«, sagte er. »Ich weiß schon. Das ist draußen vor Albany. Death Valley, stimmt’s?«
    »Um Himmels willen! Death Valley ist in Kalifornien.«
    »Nein – so wurde es genannt, nachdem in den Fünfzigern die Fabriken dichtgemacht hatten. Hieß mal Grover’s Town. Heißt es eigentlich immer noch, nur nennt es da keiner mehr so.«
    Er legte den Gang ein, fuhr an und fädelte sich in den schwachen Verkehr ein.
    »Hat da nicht vor zehn Jahren ein Musikfestival stattgefunden?«, fragte Tom.
    »Genau. Jede Menge Platz und nicht allzu viele Nachbarn, auf die man Rücksicht nehmen musste. Die hatten ein paar richtig gute Bands. Schade, dass die das nie wiederholt haben. Waren Sie dabei?«
    Tom lachte bitter auf. »Hat man mir jedenfalls gesagt.« Er tastete in seiner Tasche nach der Flasche und nahm einen Schluck. Im Innenspiegel sah er den besorgten Blick des Fahrers. Diesen Blick kannte er von früher.
    »Alles in Ordnung?«
    »Es geht mir gut«, antwortete Tom, und diesmal leerte er die Flasche. Er überlegte, ob er den Fahrer bitten sollte, beim nächsten Schnapsladen zu

Weitere Kostenlose Bücher