Mysterium
jetzt weit genug gegangen ist. Falls unsere Tochter durch irgendeinen Zufall, oder wie immer Sie es nennen, etwas darüber aufgeschnappt hat, was passiert ist, bevor sie zur Welt kam … Lassen Sie es mich so sagen, Murray: Ich war derjenige, der die ganze Sache zu entwirren versucht hat, weil ich herausfinden wollte, was mit Julia los war. Und ich glaube, dass ich nun alles weiß, was ich wissen wollte. Ich bin weit genug gekommen. Meine einzige Sorge gilt jetzt Julias Gesundheit. Und ich habe nicht vor, sie zu gefährden.«
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen, Tom, und ich würde an Ihrer Stelle genauso empfinden. Aber aus meiner Warte sieht alles ein bisschen anders aus.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn ich und einige meiner Kollegen unsere Arbeit vor zehn Jahren besser gemacht hätten, wäre das Mädchen vielleicht gefunden worden. Zumindest hätten wir herausgefunden, was mit ihr passiert ist.«
»Haben Sie mit Jack Edwards gesprochen? Geht er der Sache nach?«
»Jack hat genug damit zu tun, was zurzeit passiert. Aber wie ich Ihnen schon sagte, ich habe sehr viel Zeit.«
»Sie sind pensioniert, Murray«, sagte Tom. »Oder machen Sie eine Art persönlichen Kreuzzug aus der Sache?«
»Ich will die Wahrheit herausfinden.«
»Das respektiere ich. Aber Sie werden auf keinen Fall unsere Tochter mit hineinziehen, damit das klar ist.«
»Ich habe nicht vor, Ihre Tochter in irgendetwas hineinzuziehen. Ich habe ohnehin meine Zweifel, dass sie uns viel erzählen könnte. Aber meinen Sie nicht, dass wir es wenigstens Jennifer Sawyer schuldig sind, ihr zu berichten, was wir über ihre Schwester wissen?«
»Vielleicht. Aber das ist nun wirklich nicht viel, oder? Und es ist kaum eine Lösung des Rätsels.«
Schenk sagte eine Zeit lang nichts; dann wiederholte er Toms Worte. »Nein, es ist kaum eine Lösung des Rätsels.«
Tom war nicht sicher, ob er in Schenks Stimme Resignation hörte oder etwas anderes. Eine versteckte Drohung vielleicht? Auf jeden Fall ein Eingeständnis, dass die Geschichte noch nicht vorüber war.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten, Murray. Aber ich bin damit fertig – aus den Gründen, die ich Ihnen genannt habe.«
»Verstehe. Ich rufe Sie an, wenn sich was Neues ergibt.«
»Tun Sie das.«
34
Murray Schenk legte auf und fragte sich, ob er Jennifer Sawyer anrufen sollte. Er fühlte sich tatsächlich verpflichtet, sie auf dem Laufenden zu halten, genau wie er Tom Freeman gesagt hatte. Und er würde es auch tun. Aber im Moment konnte das warten. Erst musste er weitere Befragungen machen, andere Fährten verfolgen.
Er wählte die Nummer von Dr. Brendan Hunt in Saracen Springs.
Am Tag darauf, kurz nach 12 Uhr 30, fuhr Hunt die zehnminütige Strecke von seiner Praxis zur Citadel Motor Lodge in der Scarsbrooke Avenue, wo Schenk an diesem Morgen eingecheckt hatte. Es wäre besser, sich in dem Motel zu treffen, hatte Schenk gesagt, weil es das Risiko verringerte, Freeman über den Weg zu laufen oder sonst jemandem zu begegnen, der sie kannte.
Hunt fuhr in der strahlenden Mittagssonne langsam an den frisch gestrichenen Blockhütten vorbei, bis er zu der Nummer kam, die Schenk ihm genannt hatte. Er klopfte an und warf einen ersten Blick auf den Mann, der öffnete.
»Schön, dass Sie Zeit für mich haben«, sagte Schenk. »Kommen Sie rein.«
Das Zimmer war selbst für den Standard eines durchschnittlichen Motels gesichtslos: Bett, Fernseher, Minibar und ein paar große, aber seltsam unbequeme Sessel. Hunt lehnte Kaffee und andere Getränke dankend ab. Schenk nahm sich eine Flasche Bier. Dann saßen sich die beiden Männer gegenüber. Schenks Hände ruhten auf seinem voluminösen Bauch, und er betrachtete seinen Besucher mit der Undurchdringlichkeit eines Buddhas.
»Worüber genau wollen Sie mit mir sprechen, Mr. Schenk?«, ergriff Hunt schließlich die Initiative, um ein Gespräch in Gang zu bringen. »Am Telefon waren Sie ziemlich geheimniskrämerisch.«
»So muss man heutzutage sein. Man weiß nie, wer alles mithört.«
»Das stimmt. Aber wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann …«
»Es geht um Tom Freeman«, sagte Schenk und trank einen Schluck. »Ich weiß, dass Sie der Psychiater des Mädchens sind, deshalb werden Sie mir nicht alles über die Kleine sagen können. Aber ich interessiere mich ohnehin mehr für ihren Vater.«
»Nun, bis zu einem gewissen Maße fallen auch die Eltern unter die Schweigepflicht, aber ich werde tun, was ich kann.«
Schenk sah ihn mit einem
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