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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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ich den Schock beschreiben soll, als ich völlig unvorbereitet den Mann in mein Büro kommen sah, den ich vier Jahre zuvor tot in einem Graben hatte liegen lassen. Nur durch einen übermenschlichen Akt der Selbstbeherrschung brachte ich es fertig, mich nicht zu verraten.
    Seltsamerweise hatte ich nie auch nur für einen Augenblick das Gefühl, ich könnte mich geirrt haben. Es war der Mann von damals. Sein Gesicht hatte sich in mein Gedächtnis eingegraben, allerdings nicht, weil ich von Gewissensbissen geplagt wurde. Vielleicht war mir sein Gesicht so klar vor Augen geblieben wie das eines gefährlichen Feindes, den man besiegt hatte, aber dennoch respektierte.
    Aber wie konnte ich mich geirrt haben, als ich ihn für tot gehalten hatte? War ich durch die Ereignisse damals zu sehr aus der Fassung gewesen, um die Sache richtig zu Ende zu bringen? Jedenfalls hatte ich das scheußliche Gefühl, einen Mann vor mir zu haben, der von den Toten auferstanden war.
    Als ich entdeckte, wo das Problem mit seiner Tochter lag, wusste ich, warum.
    In meinen ersten Sitzungen mit Julia stellte ich fest, dass ihre Erinnerungen an »Melanie« bruchstückhaft waren und für mich keine unmittelbare Bedrohung darstellten – jedenfalls nicht in diesem Stadium. Was geschehen konnte, wenn das Mädchen älter wurde, war eine andere Frage.
    Erstaunlicherweise hatte Tom Freeman keine noch so leise Erinnerung an die Nacht, als unsere Wege sich zum ersten Mal gekreuzt hatten. Jahre später entdeckte ich natürlich, dass er eine unbewusste Erinnerung in Gestalt seiner wiederkehrenden Träume hatte. Betrunken und mit Drogen voll gepumpt, wie damals für ihn üblich, war er ins Kellergeschoss des Hauses getaumelt, auf der Suche nach einem Ort, wo er den Rest der Nacht verbringen und seinen Rausch ausschlafen konnte. Deshalb war er dort gewesen – wahrscheinlich im Tiefschlaf-, als ich mit der Leiche des Mädchens erschien. Dann aber war er aus dem Alkohol- und Drogenschlaf erwacht, als ich etwas suchte, womit ich die Leiche vergraben konnte. Beim Erwachen hatte der Mann fälschlich angenommen, selbst für den Tod des Mädchens verantwortlich zu sein.
    Weshalb er weggelaufen war, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte? Vielleicht, um seine Haut zu retten. Vielleicht, um Alarm zu schlagen. Das ließ sich nur erraten. Es sei denn, dass seine Erinnerung zurückkam – eine Möglichkeit, mit der ich rechnen musste.
    Jedenfalls war das Zusammentreffen zwischen mir, Freeman und dem Mädchen an jenem Abend in verschiedener Hinsicht bemerkenswert, da es die Hand Gottes zeigte – jenes Gottes, den ich bereits beschrieben habe: Gott, der Spieler; Gott, der Rätselerfinder; Gott, dessen Gedanken wir sind, während er sich die Ewigkeit damit vertreibt, indem er uns erfindet und dann demontiert.
    Betrachten Sie nur einmal die schier unglaubliche Verkettung der Ereignisse: Tom Freeman hatte auf unerklärliche Weise meinen Versuch überlebt, ihn zu töten. Dann hatte er eine Tochter gezeugt, die behauptete, einst Melanie Hagan gewesen zu sein. Dann wurden die Freemans von Bella Warne ausgerechnet an mich weiterempfohlen, um die Probleme ihrer Tochter zu behandeln. Sicher – Bella wusste, dass ich der Beste war, aber es gab keine Garantie, dass ich den Fall übernehmen würde. Ich hätte auf Urlaub oder krank oder einfach zu beschäftigt sein können. Es gab tausend Gründe, dass Julia Freeman bei einem anderen Arzt hätte landen können. Dass sie ausgerechnet zu mir gekommen war, war mehr als purer Zufall.
    Wie dem auch sei – mein erstes Ziel bestand nun darin, einen Keil zwischen die beiden Identitäten des Mädchens zu treiben, die um die Kontrolle über ihr Bewusstsein konkurrierten. Ich konnte Melanie nicht löschen wie eine Datei in einem Computer, aber ich konnte versuchen, dafür zu sorgen, dass Julia die Oberhand behielt. Das erwies sich sogar als ziemlich einfach, indem ich die übliche Standard-Spieltherapie und eine leichte Hypnose anwendete. Nicht, dass ich dadurch in ein Gefühl falscher Sicherheit eingelullt wurde. Ich war mir darüber im Klaren, dass wir noch weit vom Ende der Geschichte entfernt waren. Als wir unsere erste Serie regelmäßiger Sitzungen beendeten, war Melanie noch nicht verschwunden; sie war nur auf Eis gelegt. Die einzige Möglichkeit, absolut sicherzugehen, dass Melanie niemals zurückkehrte, hätte darin bestanden, Julia zu eliminieren – was vollkommen unmöglich war. Deshalb konnte ich nichts Besseres tun, als Melanies

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