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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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gar nicht mehr gab. Die Grenze war überschritten worden. Es war bereits zu spät.
    »Nun ja«, sagte ich. »Darüber ließe sich reden.«
    »Klingt gut.«
    Sie lächelte mich mit solcher Unschuld an, dass ich für einen Moment beinahe geglaubt hätte, sie falsch beurteilt zu haben. Dann bemerkte ich, dass sie die Beine unter ihrem superkurzen Minirock leicht gespreizt hatte. Beinahe hätte ich über meine Naivität laut gelacht.
    »Nur um meinen guten Willen zu zeigen«, sagte ich, während ich mit einer Hand meine Brieftasche hervorzog, »wie wär’s, wenn ich dir erst mal fünfzig Dollar Vorschuss gebe?«
    Angesichts dieses unerwarteten Nebenverdienstes weiteten sich ihre Augen voller Gier, und sie hatte bereits wartend die Finger ausgestreckt, als ich ihr den Schein in die Hand drückte. »Danke!«, sagte sie. »Echt Klasse!« Ich sah, wie sie den Schein sorgfältig zusammenfaltete und in die Tasche steckte.
    »Und jetzt«, sagte ich, »müssen wir nur noch überlegen, wohin wir gehen können.«
    »Hingehen?«
    Ich sah sie an. »Du weißt schon, was ich meine.«
    »Ach ja, richtig.«
    Sie klang weniger sicher als eben, als sie um das Geld gebeten hatte. Aber ich nahm an, dass sie nun am Haken hing: Sie würde annehmen, dass es noch mehr für sie zu holen gab.
    »Wir könnten zu mir gehen, aber meine Schwester ist da«, log sie. »Wir müssen irgendwas anderes finden.«
    Das Versprechen in ihrer Stimme hatte jetzt einem Widerstreben Platz gemacht. Sie versuchte, es zu verbergen, jedoch ohne Erfolg. Ich kam zu dem Schluss, dass ich mich vielleicht geirrt und ich sie doch nicht am Haken hatte. Nun, da sie fünfzig Mäuse besaß, wollte sie aus dem Geschäft mit mir raus, bevor sie ihren Teil liefern musste.
    Wir näherten uns bereits den Außenbezirken von Albany. Draußen war es pechschwarz, und im Licht der Scheinwerfer war lediglich eine leere Landstraße zu sehen, die zu beiden Seiten von einer verlassenen Industrielandschaft gesäumt zu sein schien.
    »Das sieht okay aus«, sagte ich und fuhr den Wagen von der Straße auf ein Stück Brachland. Die Scheinwerfer streiften ein merkwürdig aussehendes Haus. Tom Freeman würde es mir später als »einzeln stehenden Zahn in einem verrottenden Kiefer« beschreiben. Das Haus war verlassen, allerdings keine Ruine, wenn auch die Fenster zerbrochen oder vernagelt waren und das Dach ziemlich verfallen aussah. An einer Ecke gab es einen seltsamen Turm, wie die Imitation eines gotischen Schlosses.
    »Was soll das heißen – das sieht okay aus?«, fragte sie. »Okay wofür?«
    Ich schaute sie mit einem Blick an, der besagte: Das soll wohl ein Witz sein. Jetzt ist es zu spät, es dir anders zu überlegen.
    Ich stieg aus.
    »Komm, steig auch aus«, sagte ich.
    Sie rührte sich nicht. »Es ist gruselig hier. Ich will weg.«
    »Es ist nicht gruselig. Steig schon aus.«
    Ich ging ein paar Schritte und nutzte die Gelegenheit, mir die Beine zu vertreten und die kühle Nachtluft zu atmen. Ein Teil von mir hoffte, dass sie einfach das Geld nahm, das ich ihr gegeben hatte, und verschwand. Es wäre besser für uns beide gewesen. Hätte ich in der Stadt oder auch nur an einer Tankstelle gehalten, hätte sie das wahrscheinlich auch getan. Aber hier draußen? Das war etwas anderes. Mir wurde klar, dass ich ein Spiel mit ihr spielte, das ich eigentlich nicht hatte spielen wollen, dem ich mich nun aber widmete.
    Ich blieb stehen, als ich einen misstönenden, jaulenden Akkord in der Ferne hörte. Ich horchte einen Augenblick, drehte mich um und versuchte herauszubekommen, woher der Laut kam. Dann, weiter oben auf einem flach ansteigenden Hang und erst jetzt sichtbar, nachdem meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich schwache, tanzende Lichtmuster, die vom Nachthimmel reflektiert wurden. Ich erkannte, dass wir durch Zufall in die Nähe des Rockfestivals geraten waren, zu dem das Mädchen wollte. Es war nur ein paar hundert Meter entfernt, gleich hinter dem Hügel. Sie hatte gesagt, das Festival würde drei Tage lang rund um die Uhr dauern.
    »Komm mal her«, rief ich zum Wagen zurück. »Das solltest du dir ansehen.«
    Diesmal antwortete sie nicht einmal. Ich ging zum Wagen und spähte hinein. Es war keine Spur von ihr zu sehen.
    Wie wenig wir uns doch kennen – selbst diejenigen, die gelernt haben, unter die Oberfläche des menschlichen Verhaltens zu schauen. Noch vor einem Augenblick hatte ich gedacht, ich wollte, dass sie flieht. Aber nicht um diese Sache zu beenden,

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