Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
bleiben nun dunkel. Die Stadt hat die Mystiker so viele Jahre lang ausgelaugt. Die so gewonnenen Energiereserven werden noch eine Weile ausreichen, um Manhattan zu versorgen, aber was kommt dann?
Seit meiner Entführung habe ich das Zeitgefühl verloren. Aber ich bin mir sicher, dass mindestens eine Nacht vergangen ist: Die Sonne ist längst aufgegangen, die Menschen sind wach. Und ich bin erschöpft.
»Nachdem Hunter dich ins Krankenhaus gebracht hatte, bestachen dein ach so fürsorglicher Vater und Elissa Genevieve einige Mystiker, damit sie ihnen beim Bau mystischer Bomben halfen – ähnlich wie die, die damals das Große Feuer auslösten.« Turk spielt auf den schrecklichen Anschlag vor über zwanzig Jahren an, bei dem Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Damals hatte man schnell die Mystiker als die Übeltäter ausgemacht und die Katastrophe als Vorwand genommen, um die Mystiker zu überwachen und ihre Energie abzuschöpfen. Auf diese Weise, so hieß es, wollte man verhindern, dass sie zu stark und uns eines Tages unterwerfen würden.
Schließlich kam heraus, dass Elissa den Anschlag im Auftrag meines Vaters ausgeführt hatte, um die Mystiker in Verruf zu bringen. Sie hatte sich und ihre mystischen Kräfte in seinen Dienst gestellt, im Austausch für Privilegien und, wie ich vermute, auch für Geld. Auch wurde sie niemals abgeschöpft und behielt so ihre Macht und ihre Gesundheit. Sie hat zahllose Unschuldige auf dem Gewissen und mich und all die anderen getäuscht. Sie gab sich mir gegenüber als Doppelagentin aus, die in Wahrheit für die Rebellen arbeitete. So überredete sie mich, ihr Zugang zu den Untergrundverstecken der Aufständischen zu verschaffen. Doch Elissa hat zu jeder Zeit zu meinem Vater gehalten und ihn im Kampf gegen die Mystiker unterstützt. Ich kann noch immer nicht verstehen, wie sie so etwas tun konnte. Warum hat sie immer und immer wieder Verrat an ihren eigenen Leuten begangen? Patrick Benedict, ein anderer Mystiker in den Diensten meines Vaters, stand dagegen bis zum Schluss auf der Seite der Rebellen.
Jetzt ist Benedict tot und Elissa ist … Wenn ich nur wüsste, wo … »Kein Mystiker hier würde Elissa helfen«, sage ich. »Sie ist doch die Bosheit in Person.«
Turk zuckt mit den Schultern. »Mystiker und normale Menschen unterscheiden sich gar nicht so sehr. Am Ende geht es doch immer ums Geld. Für eine Handvoll Dollar würde Elissa sogar ihre eigene Mutter verkaufen.« Er lacht. »Komischer Ausdruck. Ich jedenfalls habe noch nie jemanden gesehen, der seine Mutter verkauft hätte.«
Ich lächele. Sogar inmitten dieser Zerstörung gelingt es Turk, mich aufzumuntern.
Inzwischen haben wir den Times Square erreicht, der nur noch ein einziges gespenstisches Trümmerfeld ist. Vor einigen Wochen habe ich hier mit ansehen müssen, wie mein Vater Hunter mit brutaler Gewalt durch die Straßen zerrte. Schon vor dem Krieg war dies eine heruntergekommene Gegend, überall gab es Müll und Ratten. Aber wenigstens standen hier noch Häuser.
Jetzt gibt es hier nichts mehr. Auf dem Boden liegen Fotoplakate von Hunter und mir mit der Aufschrift: VORWÄRTS INS NEUE MANHATTAN! Auf dem Bild sieht es aus, als würden wir nebeneinander stehen, aber es ist eine Montage. In Wahrheit wurden wir noch nie zusammen fotografiert. Hunter trägt Schwarz und blickt sehr ernst drein. Sein früher wildes aschblondes Haar ist nun an den Seiten kurz geschoren. Dadurch wirkt er viel älter und ernsthafter.
Mein Foto stammt von einer Wohltätigkeitsveranstaltung im letzten Jahr: Ich trage ein purpurfarbenes Babydoll-Kleid mit hellrosa Taillenschärpe. Mein dunkles Haar ist zu einem eleganten Twist zusammengesteckt und ich strahle wie ein kleines Mädchen an seinem Geburtstag. Dieses Bild fühlt sich falsch und dumm an. Am liebsten würde ich alle Plakate einsammeln und in tausend Fetzen reißen, doch es sind zu viele. Also wende ich mich einfach ab.
»Eins hat die ganze Zerstörung immerhin gebracht«, fährt Turk fort. »Die meisten Mystiker widersetzen sich jetzt der Abschöpfung. Viele haben sich den Rebellen angeschlossen, und wir sind jetzt stark genug, um uns zu verteidigen.«
»Wie schafft ihr es denn jetzt, hier zu überleben?«, frage ich. Die meisten registrierten Mystiker haben früher als Dienstboten in den Horsten oder den Fabriken gearbeitet.
»Es ist hart«, sagt Turk. »Einige haben in der Tiefe Läden eröffnet. Die meisten Männer arbeiten als Gondolieri. Irgendwie schlagen wir uns
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