Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
Glitzersandalen schneiden mir in die Füße.
Turk schiebt das Bike langsam zum Ende der Gasse. Er blickt zurück und winkt mich heran. »Komm schon, trödle nicht rum.«
Ich nehme den Helm ab und reiche ihn Turk. Binnen Sekunden verwandelt sich der Kopfschutz wieder zurück in einen Metallstab. Die Straße scheint ausgestorben, bis auf einen winzigen Blumenstand mit zerrissener blauer Markise und Eimern voll vertrockneter Tausendschön.
Der Blumenstand an der Ecke wird von einer Frau mit langem blonden Haar geführt. Ihre Haut wirkt ledern. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille und ein grünes Kleid und ist unglaublich dünn. »Ist doch Verschwendung, hier unten Blumen zu verkaufen«, sage ich und denke an die Gewächshäuser in den Horsten, in denen mithilfe mystischer Energie exotische Pflanzen gedeihen.
»Ein bisschen Schönheit kann jeder gebrauchen«, sagt Turk. Schon ist er bei der Frau und tippt ihr auf die Schulter.
»Du!« Sie schlingt die Arme um seinen Hals und zieht ihn zu sich heran. »Wo hast du bloß gesteckt?«
»Hier und da«, sagt Turk. Er drückt der Frau einen Kuss auf die Wange, und ich fühle mich wie der heimliche Beobachter einer Szene, die nicht für meine Augen bestimmt ist.
»Du rufst nicht an, du schreibst nie … Ich dachte schon, du hättest die Stadt verlassen«, sagt sie.
Turk schüttelt den Kopf. »Manhattan verlassen? Unmöglich. Du kennst mich doch. Ich bin nur für eine Weile untergetaucht.« Er deutet auf sein Bike. »Kann ich das gute Stück bei dir unterstellen?«
Die Frau schüttelt den Kopf. Trotz der Sonnenbrille kann ich erkennen, dass sie die Augen verdreht. »Ach, deswegen bist du hier. Und ich hab schon geglaubt, du hättest mich vermisst.«
Turk lacht. »Ich vermisse dich. Aber kannst du einem Bruder nicht einfach einen Gefallen tun?«
»Jaja.« Die Frau zieht eine Plane unter dem Stand hervor, faltet sie auf und wirft sie über das Motorrad. »Keine Sorge. Ich passe gut darauf auf.«
»Ich weiß«, antwortet Turk. Er greift in seine Jeanstasche und zieht einen kleinen grauen Beutel heraus. Münzen klimpern darin. »Für deine Mühe.«
Sie steckt das Geld ein und küsst Turk auf die Wange. Dann mustert sie mich stirnrunzelnd. Sie greift unter den Stand und zieht ein gefaltetes Kleidungsstück hervor. »Für deine Freundin«, sagt sie. »Bye.«
»Bye.« Er wirft mir das Bündel zu.
Ich falte es auseinander: ein Mantel wie der, den ich verloren habe. Ich lege ihn um und setze die Kapuze auf.
Turk nimmt meine Hand und führt mich die Straße hinunter, weg von den gaffenden Gondolieri, die selbst gedrehte Zigaretten rauchen und um Kunden werben, weg von den Müttern, die ihre Kinder über den schmutzigen Gehsteig scheuchen.
Wer war diese Frau? Woher kennt Turk sie?
»Hey, Aria«, sagt Turk und betrachtet mich.
»Ja?«
Er grinst. »Schwarz steht dir.«
Turk führt mich durch die zerstörte Stadt. »Violets Tod war der Wendepunkt«, erklärt er mir. »Er hat die Mystiker und die Armen in der Tiefe erst richtig zusammengeschweißt. Vorher waren sie einander spinnefeind.«
Ich nicke. Früher haben die Armen die Mystiker genauso abgelehnt wie die Reichen in den Horsten, denn sie fürchteten deren geheime Kräfte. Die Mystiker wiederum waren nicht gut auf die Armen zu sprechen, weil auch diese sie nicht als gleichberechtigte Bürger akzeptierten, obwohl sie sich an die Gesetze hielten, sich registrieren und freiwillig abschöpfen ließen.
»Hey, wo bist du grade?«
»Wie bitte?«
»Du schienst ganz woanders zu sein. Woran hast du gedacht?«
»An die Nacht, in der wir uns kennengelernt haben«, antworte ich. »Im Java River.« Hunter hatte mich einfach in dem Café stehen lassen und mir Turk geschickt, der mich nach Hause brachte. »Das war so nah am Prächtigen Block, in dem die registrierten Mystiker wohnten … Mein Leben lang haben mir meine Eltern eingetrichtert, dass Mystiker gefährlich seien. Dass ihr gefährlich seid.« Ich streiche mir das Haar aus der Stirn. »Gut dass sich die Armen und die Mystiker verbündet haben.«
Turk zwinkert mir zu. Offenbar sind wir einer Meinung. »Violet wollte für alle in der Tiefe das Beste. Nicht nur für die Mystiker. Ihr Tod war für alle ein Verlust, und alle erkannten, dass man im Kampf gegen die Horste zusammenhalten muss. Dein Vater und dein Bruder«, Turk runzelt die Stirn, »sind über uns hergefallen, als wir am Boden lagen.«
Die Lichttürme ringsumher, aus denen einst mystische Energie schoss,
Weitere Kostenlose Bücher