Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
erwidere ich.
Dad lächelt Benedict kurz zu – würde ich nicht so haarscharf aufpassen, wäre es mir glatt entgangen.
»Aria«, sagt Dr. May und tritt zu mir, »du hattest erneut einen Anfall, ausgelöst durch Stic. Deine Mutter hat dich zuckend auf dem Boden deines Zimmers vorgefunden. Dein Leben stand auf Messers Schneide.«
Mein erster Impuls ist zu lachen, doch ich beiße mir auf die Zunge. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Benedict angespannt ist. Schlagartig wird mir klar: Dies ist der entscheidende Moment. Ich muss Dr. May und meine Eltern davon überzeugen, dass die Behandlung angeschlagen hat. Wenn ich nicht glaubhaft bin, könnten sie die Prozedur wiederholen – und ohne Gegenmittel würde ich meine Erinnerungen am Ende doch noch einbüßen. Aber woher soll ich wissen, an was ich mich erinnern darf und an was nicht?
Schaudernd hole ich Luft. »Ich … ich … habe es schon wieder getan?«
Meine Mutter nickt ernst. »Vielleicht warst du nervös wegen der bevorstehenden Hochzeit? Aber du liebst Thomas doch und er dich … Ich versteh das nicht.«
Sie belässt es dabei und blickt mich unbewegt an. Wie mein Vater wartet sie nur darauf, dass ich widerspreche.
»Ich liebe Thomas wirklich«, erwidere ich unbeirrt. Meine Mutter ergreift die Hand meines Vaters. Beide wirken erleichtert. »Wegen der Hochzeit bin ich nicht nervös. Leider … kann ich mich an nichts erinnern.« Ich hole tief Luft. »Tut mir leid.«
»Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen stellen, um das Ausmaß Ihres Gedächtnisverlustes zu bestimmen.« Dr. May nimmt einen tragbaren TouchMe und tippt etwas ein.
»Wieso«, unterbricht ihn mein Vater, »stellt Benedict nicht die Fragen?« Sein Ton lässt keinen Zweifel daran, dass dies keine Bitte ist, sondern eine Anweisung. Wahrscheinlich glaubt er, Benedict würde härter mit mir ins Gericht gehen. »Nichts gegen Sie, Salvador.«
»Jaja, gewiss.« Dr. May kommt ein wenig aus dem Konzept. »Ich werde die Antworten aufzeichnen.«
Benedict rückt seine Krawatte gerade und tritt vor. Wenige Zentimeter vor meinem Untersuchungstisch bleibt er stehen. Die Klimaanlage läuft auf vollen Touren. Ich bekomme eine Gänsehaut und ziehe das Krankenhausnachthemd enger um mich.
»Wie lautet Ihr voller Name?«, fragt Benedict.
»Aria Maria Rose.«
»Wann ist Ihr Geburtstag?«
»14. Oktober.«
»Wer sind Ihre Eltern?«
Ich zeige auf meinen Vater und meine Mutter. »John und Melinda Rose.«
»Wie heißt Ihr Verlobter?«
»Thomas Foster.«
Benedicts Blick wandert zu meinem Vater und dann wieder zurück zu mir. Er hebt ganz leicht die Augenbrauen, wie um mir zu signalisieren, dass es nun mit den echten Fangfragen losgeht.
»Kennen Sie einen Jungen namens Hunter Brooks?«, fragt Benedict – und blinzelt zweimal.
»Nein«, antworte ich. Meine Mutter seufzt hörbar.
»Wissen Sie, wohin Davida, Ihre Dienerin, verschwunden ist?« Wieder blinzelt er zweimal.
»Nein«, sage ich. »Wieso ist sie verschwunden?«
Dr. May grinst. Offensichtlich mache ich meine Sache gut.
»Lieben Sie Thomas Foster?« Ein Blinzeln.
»Ja«, sage ich.
»Machen Sie sich Sorgen wegen Ihrer bevorstehenden Hochzeit?« Doppeltes Blinzeln.
»Nein«, sage ich und grinse breit. »Ich hoffe, dass ich in meinem Kleid gut aussehen werde.«
Benedict wendet sich meinen Eltern zu, die ihn heranwinken. Sie unterhalten sich im Flüsterton. Dr. May gesellt sich kurz zu ihnen und ich bleibe allein mit meinen Grübeleien.
Benedict wollte den Erfolg der Behandlung verhindern. Er ist die rechte Hand meines Vaters und sein größter Unterstützer. Was hat dieser Verrat zu bedeuten?
Dr. May räuspert sich. »Aria, Sie werden wieder ganz gesund. Ihre Eltern möchten Sie zu einem Therapeuten schicken, zu jemandem, den ich empfohlen habe. Auf diese Weise können wir Ihnen helfen, Ihre Stic-Abhängigkeit zu beenden.« Er hält kurz inne. »Ihr fortgesetzter Drogenmissbrauch macht mir Sorgen. Er beeinträchtigt nicht nur Ihre Gedächtnisleistung, sondern gefährdet auch Ihr Leben.«
»Ich will mich anstrengen und es in Zukunft besser machen.« Ich versuche zuversichtlich zu klingen. Meine Eltern sind außer Kyle meine einzigen Verwandten. Und ausgerechnet sie sind Lügner. Mörder. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Hunter nach vorn kippt, über Bord geht und schließlich im trüben Wasser versinkt. Der Schmerz zerreißt mir die Brust.
Er ist fort. Ich bin noch hier. Um sein Andenken zu ehren, muss ich verhindern, dass meine Eltern ihren
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