Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
hier allein lassen? Kommen Sie doch in fünf Minuten zurück, ja?«
Sie sehen mich verständnislos an, begeben sich aber dennoch nach draußen. Ich schließe die Tür und gehe zum Bett. Ich knie mich davor hin, strecke die Hand aus und taste nach dem Metallkasten. Er ist verschwunden.
Ich schaue mich im Zimmer um. Glücklicherweise sind die Beutel offen, ich brauche sie also nicht extra aufzuknoten. Ich werfe einen Blick hinein: Kleidung, Bücher, Nippes. Alles, was Davida im Lauf der Jahre angesammelt hat. Dann fange ich an, systematisch zu suchen: Zwei Säcke sind mit Uniformen in verschiedenen Kleidergrößen gefüllt. Manche sind so klein, dass sie wohl noch aus Davidas Kindheit stammen. Hat Davida denn nie etwas weggeworfen? In einer anderen Tüte befinden sich Waschzeug und Unterwäsche. Nirgendwo finde ich die Metallkiste. Oder Handschuhe. Wo habe ich noch nicht nachgesehen? Der Schrank.
Er steht offen und ist fast leer. Ich durchstöbere die Reste – ein paar Pullover und einige Kleider, die meine Eltern Davida für besondere Anlässe geschenkt haben und die sie höchstens ein Mal getragen hat. Sonst habe ich sie immer nur in ihrer Uniform gesehen. Diese Stücke sind praktisch neu.
Ich ziehe ein rosa Kleid mit Glasperlen am Kragen heraus und breche fast in Tränen aus. Das Kleid habe ich Davida zu ihrem sechzehnten Geburtstag geschenkt.
Ich drücke mein Gesicht in den weichen Stoff und atme den Rosenduft ein, der vom Waschmittel stammt. Ich stelle mir vor, wie Davida in jener Nacht geweint hat – um Hunter und um mich.
Ich hänge das Kleid zurück und nehme einen Pullover, der ursprünglich mir gehört hat. Am besten behalte ich ihn, bis sie zurückkommt. Früher war er schön weich, doch jetzt knistert er.
Ich halte den Pullover ans Licht. Von außen kann ich nichts Auffälliges daran entdecken. Doch als ich meine Hand hineinstecke, spüre ich etwas Steifes. Langsam drehe ich den Pullover auf links. Erstaunt stelle ich fest, dass die gesamte Innenseite mit kleinen Notizzetteln ausgekleidet ist, beschrieben in Davidas Handschrift.
Ich lege den Pullover auf Davidas Bett und hole das nächste Stück aus dem Schrank, einen weißen Bademantel. Auch hier finde ich auf der Innenseite eingenähte Notizen.
Nun durchforste ich den Schrank gezielt nach weiteren Verstecken. Ich finde ein rotes Strickkleid, das sie einmal zum Gottesdienst getragen hat, ein weißes Jerseykleid mit schwarzem Saum, einen schwarzen Blazer, einen Faltenrock, eine weiche grüne Strickjacke. Alle bergen Zettel mit Botschaften. Ohne zu zögern, raffe ich die Sachen zusammen und bringe sie hinüber in mein Zimmer. Aus einer Schublade hole ich mir einen edelsteinverzierten Brieföffner und fange mit dem Pullover an. Vorsichtig trenne ich die Zettel heraus.
Nachdem ich alle herausgelöst habe, bringe ich die Sachen zurück in Davidas Zimmer und stopfe sie in den erstbesten offenen Sack. Zurück in meinem Zimmer, schließe ich die Tür, sammele die Zettel ein und beginne zu lesen. Der erste trägt ein Datum vom letzten Jahr.
Ich weiß nicht, wo ich meine Gedanken aufschreiben soll. Mein TouchMe wird überwacht und meine E-Mails lesen die Leute von Mr R. mit. Vielleicht ist die traditionelle Art die beste – so aufgeblasen, wie diese Horstbewohner sind, kommen sie bestimmt gar nicht auf die Idee, bei mir nach so altmodischen Sachen wie Tinte und Papier zu suchen und noch viel weniger nach Worten, die mit Herzblut geschrieben wurden.
Ich weiß nicht, wie viel sie schon herausbekommen haben. Ich halte Augen und Ohren offen und versuche Informationen zu erhaschen, die ich an das Team weiterleiten kann. Damit wir diese Farce möglichst schnell beenden können.
Offensichtlich bin ich auf eine Art Tagebuch gestoßen, Notizen, von denen Davida glaubte, sie würden bei einer Durchsuchung ihres Zimmers nicht entdeckt. Ich lege die Zettel auf mein Bett und gehe den Stapel durch. Die ersten Aufzeichnungen sind schon über sechs Jahre alt. Das war kurz, nachdem Davida zu uns kam. Ich suche die neueren heraus.
14.5.
Heute bin ich nach Hause geschlichen. Wie schön es war, alle wiederzusehen! Ich wollte bei ihnen bleiben, aber sie haben gesagt, ich müsse ausharren und noch Geduld haben, weil meine Aufgabe hier wichtig ist. Aber wie lange muss ich warten?
24.6.
Der Tag war trocken. Aria fühlt sich nicht wohl, ihr Kopf tut noch weh von der Operation. Ich weiß nicht, was sie ihr außer der Lüge von der Stic-Überdosis noch alles erzählt
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