Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
nicht gar so schlimm«, sagt Patricia, nachdem sie mich aus der Maschine geholt hat. Ich schweige einen Augenblick, dann schwinge ich die Beine über die Kante der Liege.
Ich schnaufe verächtlich. Woher soll ausgerechnet sie wissen, ob die Untersuchung schlimm war oder nicht. »Wie lange habe ich geschlafen?«
Sie wirft einen Blick auf die Wanduhr. »Ungefähr drei Stunden.«
Ich schüttele den Kopf. Drei Stunden?
»Das ist kein Grund zur Sorge«, sagt sie, »diese Behandlung ist langwierig.«
Was können die mit mir gemacht haben, das drei Stunden dauert? Hier fühlt sich alles falsch an, aber ich kann es einfach nicht riskieren, mich gegen meinen Vater oder jemanden auf seiner Gehaltsliste aufzulehnen. Ich bin ganz allein.
Patricia schaltet das Gerät ab und ich schaue ihr zu. »Kommen Sie.« Sie winkt mich zu sich. »Ich bringe Sie zu Dr. May.«
Wir gehen einen langen Korridor entlang, in dem sich ein Sprechzimmer an das andere reiht. Ich starre auf den weißen Teppich.
An der Zimmertür meines Arztes hängt ein rechteckiges Schild – DR. SALVADOR MAY . Patricia macht sich auf den Rückweg. Ich klopfe leise, erhalte aber keine Antwort. Also drücke ich mein Ohr an das Milchglasfenster der Tür; ich höre Stimmen auf der anderen Seite. Ich stütze mich mit der Hand an der Wand ab und lausche.
»Wirklich, Melinda, ich würde mir nicht so viele Sorgen machen …«
»Wie kannst du so was sagen!«, erwidert meine Mutter, »Wo das letzte Mal alles so dermaßen schiefgegangen ist.«
»Diesmal ist es anders«, sagt Dr. May. »Diesmal wird es …«
Plötzlich gibt die Tür nach und ich taumele ins Zimmer. Mit Händen und Knien lande ich auf dem Teppich. Ich muss versehentlich den elektronischen Türöffner berührt haben. Sofort stehe ich wieder auf und bürste mein Krankenhaushemd ab.
Dr. May und meine Mutter starren mich an, als wäre ich geistesgestört. Ich zucke mit den Schultern und sage: »Entschuldigung.«
»Aria!« Meine Mutter ist fassungslos. »Hast du noch nie etwas von Anklopfen gehört? Du bist schließlich nicht unter Wölfen groß geworden.«
»Bitte setzen Sie sich.« Dr. May deutet auf einen leeren Stuhl. Sein Schreibtisch steht voller Familienfotos, dazwischen türmt sich ein Stapel Akten, der sich bedrohlich zur Seite neigt.
»Die Ergebnisse Ihrer Untersuchung werden gerade auf meinen TouchMe geladen«, sagt er und scrollt mit dem Zeigefinger den Bildschirm runter. »Und wenn die Daten hier stimmen, haben Sie ein bildschönes Gehirn.« Er lächelt verkniffen. Vielleicht will er mich trösten.
Welche Antwort erwartet man jetzt von mir? »Großartig. Bildschönes Gehirn«, wiederhole ich.
»Ihre Amnesie wird sich ganz sicher mit der Zeit zurückbilden«, fährt der Arzt fort. »Die Wirkung von Stic ist noch nicht vollständig erforscht, da jeder Mystiker über eine eigene, ganz spezielle Energie verfügt, unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Wussten Sie, dass Mystiker-Herzen unterschiedliche Farben haben?«
Natürlich weiß ich das, aber zum ersten Mal wird mir bewusst, wie seltsam zum Beispiel ein gelbes Herz aussehen muss. Doch haben unsere Körper im Inneren nicht ohnehin die verschiedensten Farben? Arterien sind rot, Venen blau, Muskeln rosa. Vor diesem Hintergrund ist ein gelbes Organ gar nicht so seltsam.
»Stic ist nichts anderes als destillierte mystische Energie. Es gibt so viele unterschiedliche Wirkungsweisen wie Spender«, erklärt Dr. May. »Wir können leider nicht feststellen, was genau Sie konsumiert haben. Glücklicherweise haben Sie keine bleibenden Schäden erlitten.« Er schließt die Datei und faltet die Hände auf dem Schreibtisch. Ich starre ihn an und reibe die Innenseite meines Armes, die von den Einstichen wehtut. »Ich weiß, die Behandlung ist anstrengend für Sie, aber ich bin sicher, dass Sie sich bald besser fühlen werden. Die Injektionen, die ich Ihnen heute gegeben habe, werden dazu beitragen.«
»Danke, Doktor«, sagt meine Mutter und wirkt zufrieden. Ich hingegen bin nicht überzeugt.
In einem plötzlichen Impuls reiche ich ihr meine Hand. Obwohl sie seit Jahren nicht mehr meine Hand gehalten hat und wir uns eigentlich nicht besonders nahestehen, hoffe ich, sie wird sie ergreifen.
Doch sie ignoriert meine Geste und erhebt sich von ihrem Stuhl. Sie haucht Dr. May einen Kuss auf die Wange, ganz vorsichtig, um auch ja keine Lippenstiftspuren zu hinterlassen. »Das ist eine ziemliche Erleichterung«, sagt sie.
Ich balle die verschmähte Hand zur
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