Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
und setzt sich auf einen der großen Stühle neben meinem Schrank. »Wir haben dich ruhigstellen lassen.«
Ich reiße geschockt die Augen auf. »Ihr habt was?«
Meine Mutter zupft ihr pinkfarbenes Chanel-Jäckchen glatt. »Tu doch nicht so empört.« Sie macht einen Schmollmund. »Deinetwegen haben wir so viel durchgemacht. Alles, wofür dein Vater und ich gearbeitet haben … wofür deine Großeltern gekämpft haben … Zum Glück müssen sie das nicht mehr erleben.«
Es klopft. Mom drückt den Öffner und Magdalena stellt ein Tablett am Fußende des Bettes ab.
»Bitte schön, Ma’am«, sagt sie zu meiner Mutter und geht, ohne mich ein einziges Mal anzusehen.
Mom zieht die Augenbrauen hoch. »Möchtest du etwas essen? Du bist doch bestimmt ganz ausgehungert.«
»Wie soll ich essen?«, frage ich und hebe die Arme. Die Handschellen schlagen scheppernd gegen die Metallpfosten.
»Die nehmen wir dir bald ab.« Mom steckt einen Strohhalm in den Orangensaft und schiebt ihn mir zwischen die Lippen. Widerwillig trinke ich – die kühle, süße Flüssigkeit lindert das Brennen in meiner Kehle.
Sie streicht mir mit der freien Hand übers Haar. Dabei verfängt sich ihr Ehering in einer Strähne.
»Aua!«, schreie ich und zucke zusammen.
Das Glas rutscht ihr aus der Hand; der Saft breitet sich auf Decke und Laken aus. »Pass doch auf!«, fährt mich meine Mutter an. »Magdalena!«
»Ich will niemanden sehen!«, schreie ich, »Magdalena nicht und dich auch nicht! Lass mich in Ruhe! Du bist widerlich!« Die Erinnerung an Hunters Hinrichtung schießt mir durch den Kopf. Ich lege so viel Kälte wie möglich in meinen Blick. »Du hast dabeigestanden und nichts getan. Du bist mitschuldig an seinem Tod.«
»Du fantasierst«, sagt meine Mutter, aber ihr Blick verrät mir, wie sehr meine Worte sie getroffen haben. Sie beißt die Zähne zusammen. So viele Schönheits- OP s hat sie über sich ergehen lassen – und doch sieht sie jetzt alt und faltig aus. »Ich habe nichts dergleichen getan.«
Ich senke meine Stimme: »Du bist nicht mehr meine Mutter. Und bevor ich Thomas heirate, stürze ich lieber diese ganze Familie in den Abgrund.«
Ihre Unterlippe zittert kaum merklich. Doch sofort hat sie ihre Fassung wiedererlangt und greift hinüber zum Nachttisch. Dort liegen eine lange Spritze und eine Ampulle mit einer durchsichtigen Flüssigkeit bereit. Sie zieht die Spritze auf und packt meinen Arm. Da ich gefesselt bin, ist mein Ausweichreflex nutzlos. »Was machst du da?«
»Halt still«, sagt sie, sucht nach einer Vene und sticht die Kanüle hinein.
Ruhe breitet sich in meinem Körper aus. Mein Blut wird zäh, meine Lider schwer. Bevor ich einschlafe, sehe ich noch einmal das Gesicht meiner Mutter, und es kommt mir so vor, als würde sie lachen.
Ich träume. Weiß. So viel Weiß. Als hätte man eine Leinwand über die Stadt gespannt. Eine Leinwand von dem Weiß ausgeblichener Knochen, die darauf wartet, bemalt zu werden.
Auf dieser Leinwand entfalten sich meine Träume überlebensgroß und in Farbe. Die Bilder wirbeln durcheinander: Karussells und Zuckerwatte, dünne Strahlen mystischer Energie und die verchromten Speichen von Turks Motorrad, das Glitzern des Quecksilbers in den Röhren des Abschöpfungsraumes, die pulsierende Energie in den Mystikertürmen, die Enttäuschung in den Augen meines Vaters, das Mündungsfeuer einer Pistole.
Aber vor allem träume ich von Hunter. Ich träume davon, wie er mich in den Armen hält und mich sanft auf den Hals küsst. Aber dann fällt mir ein, dass er tot ist. Die Qual dieser Erkenntnis reißt mich aus dem Schlaf und ich schreie sie in die Nacht hinaus.
Zwei Wochen vergehen. Endlich nimmt man mir die Handschellen ab und gestattet mir aufzustehen. In der Wohnung darf ich mich frei bewegen. Meinen Freundinnen – Kiki, Bennie und den anderen Brautjungfern – haben meine Eltern erzählt, ich sei krank und werde mich bei ihnen melden, sobald ich mich erholt habe. Kyle nimmt kaum von mir Notiz. Er hält sich meist in seinem Zimmer auf oder schläft drüben bei Bennie.
Meinen TouchMe haben sie mir abgenommen. Als einzige Besucher sind die Hochzeitsplaner zugelassen. Auf ihre Fragen schweige ich eisern, um so das Unausweichliche wenigstens etwas herauszuzögern. Meine Mutter gibt an meiner Stelle Auskunft. Sie wählt die Torte aus, einen dreistufigen Kuchen mit Ganache, dekoriert mit roten Zuckerrosen. Meine Mutter übermittelt einem Kapellmeister eine Liste ihrer
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