Mystic River
Alles an diesem Fall ging ihm auf die Nerven – dass Dave Boyle verdächtigt wurde, dass Jimmy Marcus der Vater des Opfers war, dass man das Opfer mit einer Waffe getötet hatte, die dem Vater des Freundes des Mordopfers gehörte. Dann fiel ihm etwas auf, das ihn ebenfalls störte, auch wenn es scheinbar nichts mit dem Fall zu tun hatte.
»Brendan«, begann er, »wenn dein Vater die Familie verlassen hat, als deine Mutter schwanger war, warum hat sie dann das Kind nach ihm benannt?«
Brendans Blick schweifte durch das Großraumbüro. »Meine Mom hat nicht alle beisammen. Verstehen Sie? Sie strengt sich an, aber …«
»Okay …«
»Sie meint, sie hätte ihn Ray genannt, um es nicht zu vergessen.«
»Was nicht vergessen?«
»Das mit den Männern.« Brendan zuckte mit den Schultern. »Dass sie einen verarschen, sobald sie Gelegenheit dazu haben, nur um sich selbst zu beweisen, wie cool sie sind.«
»Und als sich herausstellte, dass dein Bruder stumm ist, wie fühlte sie sich da?«
»Verarscht«, erwiderte Brendan und ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen. »Sie fühlte sich irgendwie bestätigt.« Er berührte die Schale mit den Büroklammern am Rande des Schreibtisches. Sein Lächeln verschwand.
»Warum fragen Sie, ob mein Vater eine Pistole hatte?«
Plötzlich hatte Sean dieses blöde Spiel, die Höflichkeit, die Vorsicht satt. »Das weißt du ganz genau, Junge!«
»Nein«, antwortete Brendan. »Ich hab keine Ahnung.«
Sean beugte sich über den Tisch und musste sich zusammenreißen, damit er sich nicht auf Brendan Harris stürzte und ihm die Hände um den Hals legte. »Die Pistole, mit der deine Freundin erschossen wurde, Brendan, war dieselbe, die dein Vater bei einem Überfall vor achtzehn Jahren benutzt hat. Willst du mir darüber was erzählen?«
»Mein Vater hatte keine Pistole«, wiederholte er, aber Sean merkte, dass es im Kopf des Jungen anfing zu arbeiten.
»Nein? Blödsinn.« Er schlug so heftig auf den Tisch, dass Brendan auf dem Stuhl zusammenzuckte. »Du hast behauptet, du hättest Katie Marcus geliebt? Dann will ich dir mal sagen, was ich liebe, Brendan. Ich liebe meine Aufklärungsquote. Ich liebe meine Fähigkeit, Fälle in zweiundsiebzig Stunden aufzuklären. Und du lügst mich hier an, verflucht noch mal!«
»Nein, tu ich nicht.«
»Tust du wohl, Junge! Weißt du, dass dein Vater ein Dieb war?«
»Er war U-Bahn …«
»Er war ein dreckiger Dieb. Er arbeitete mit Jimmy Marcus zusammen. Der ebenfalls ein dreckiger Dieb war. Und jetzt wird Jimmys Tochter mit der Pistole deines Vaters ermordet?«
»Mein Vater hatte keine Pistole.«
»Du Dreckschwein!«, brüllte Sean, so dass Connolly aufschreckte und zu ihnen herüberschaute. »Willst du mich verarschen, Junge? Deine Zelle, die kannst du verarschen.«
Sean nahm die Schlüssel vom Gürtel und Warf sie Connolly zu.
»Sperr diese Wanze ein!«
Brendan erhob sich. »Ich hab nichts getan.«
Sean sah zu, wie Connolly hinter den Jungen trat und angespannt auf den Füßen auf und ab wippte.
»Du hast kein Alibi, Brendan, und du hattest eine Beziehung mit dem Opfer und sie wurde mit der Pistole deines Vaters erschossen. Solange ich nichts Besseres finde, nehme ich dich. Ruh dich aus, denk noch mal über das nach, was du mir hier erzählt hast.«
»Sie können mich nicht einsperren!« Brendan schaute sich zu Connolly um. »Das dürfen Sie nicht.«
Connolly schaute Sean mit aufgerissenen Augen an, denn der Junge hatte Recht. Sie durften ihn nur dabehalten, wenn sie Anklage erhoben. Aber sie hatten eigentlich nichts gegen ihn in der Hand. In diesem Bundesstaat verstieß es gegen das Gesetz, jemanden nur auf bloßen Verdacht hin festzunehmen.
Aber Brendan kannte sich in dieser Hinsicht nicht aus und Sean warf Connolly einen Blick zu, als wollte er sagen: Willkommen im Morddezernat, Grünschnabel.
»Wenn du nicht sofort auspackst, dann mach ich Ernst«, drohte Sean.
Brendan öffnete den Mund und Sean erkannte, dass eine dunkle Ahnung in Brendan aufstieg. Er schloss den Mund und schüttelte den Kopf.
»Verdacht auf Mord«, sagte Sean zu Connolly. »Buchte ihn ein!«
Am Nachmittag kehrte Dave in seine leere Wohnung zurück und holte sich sofort ein Bier aus dem Kühlschrank. Er hatte nichts gegessen, sein Magen war leer und knurrte. Nicht die beste Gelegenheit, sich ein Bier hinter die Binde zu gießen, aber Dave brauchte eins. Er musste einen klaren Kopf bekommen, seinen steifen Nacken loswerden, das wilde Klopfen seines
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