Mystic
als ich die Gelegenheit hatte!«
»Er hätte deine Nichten umbringen lassen können«, erinnerte ihn Gallagher. »Da war nichts zu machen. Du hast das Richtige getan.«
Jerry brummelte einen Moment vor sich hin und wies dann mit dem Kopf auf das Handy. Der Abflugbereich des Flughafens lag jetzt direkt vor ihnen. »Meinst du nicht, du solltest die Polizistin anrufen, mit der du zusammenarbeitest, und ihr erzählen, was Harold gesagt hat?«
»Das mach ich, wenn ich in der Luft bin.«
»Wie heißt sie noch mal?«
»Nightingale. Andie Nightingale.«
Irgendetwas musste da angeklungen sein, als Gallagher dies sagte, das Jerry dazu veranlasste, seine Augen von der Straße abzuwenden. Sie knallten gegen den Bordstein, eine Radkappe kreischte protestierend.
»Sag mir bloß nicht –«, begann Jerry.
»Okay, ich sag’s dir nicht«, antwortete Gallagher.
Jerry grinste. »He, Mann, wie gut für dich. Siehst du? Die Midlifecrisis ist doch gar nicht so schlecht.«
Gallagher überhörte die Bemerkung. »Wie schnell kannst du mit dem Kamerateam in Lawton sein?«
»In zwei Tagen. Höchstens drei.«
»Bis dann also.«
Gallagher wartete, bis die Maschine zwanzig Minuten in der Luft war, bevor er die Nummer von Andies Handy wählte. Es klingelte mehrere Male, dann wurde der Anruf weiterverbunden, und ein Mann mit einer weinerlich näselnden Stimme antwortete: »Bethel Barracks. Polizei von Vermont.«
»Ich möchte Sergeant Andie Nightingale sprechen.«
»Das will außer Ihnen jeder in diesem Bundesstaat«, sagte der Mann. Dann wurde seine Stimme ein paar Töne tiefer. »Sind Sie von CNN ?«
»Mein Name ist Patrick Gallagher.«
»Doch nicht etwa
der
Patrick Gallagher?«, jubelte der Mann. »Sie meinen, ihr persönlicher Patrick Gallagher?«
»Wie bitte?«, fragte Gallagher verwirrt. »Ist sie nun da oder nicht?«
»Nein, aber ich kann Sie zu ihrem Mobiltelefon durchstellen«, antwortete der andere.
»Da hab ich’s gerade versucht. Und wurde zu Ihnen durchgestellt.«
»Dann ist sie nicht bei ihrem Fahrzeug«, sagte der Beamte. Die Stimme wurde verschwörerisch leise. »Sie wird Ihnen berichten, dass es einen weiteren Mord gegeben hat. Libby Curtin, die Gemeindesekretärin. Sie haben ihren Teil des Tagebuchs gefunden, und jetzt ist Andie hinter einem weiteren Stück her. Ich habe den Anruf persönlich entgegengenommen. Ein Uhrmacher da unten in Windsor hat es.«
Gallagher umklammerte den Hörer fester, sein Herz raste. »Ich muss unbedingt mit ihr sprechen.«
»Kann ich ihr ausrichten, wo sie Sie erreichen kann?«
»Ich bin auf einem Flug von Washington nach Boston«, antwortete Gallagher. »Wenn sie sich meldet, sagen Sie ihr, ich versuche es noch einmal kurz nach neun. Sagen Sie ihr, es ginge um Danby.«
»Danby«, wiederholte der Beamte nachdenklich. »Die Geschichte wird ja immer interessanter. Wie wär’s mit einem Vornamen und Buchstabieren?«
40
Orin Loomis zögerte und machte ein grimmiges Gesicht, als Andie nach Many Horses’ Tagebuch fragte.
»Meine Töchter wissen nichts davon«, sagte er schließlich. »Und meine Frau auch nicht. Sie ist dieses Jahr an der Westküste und schließt ihr Studium ab. Ich möchte nicht, dass sie erfahren, dass ich es ihnen verschwiegen habe.«
»Ich verstehe«, meinte Andie. »Ich hatte selbst einen Teil davon.«
Loomis sah sie nun mit großer Neugier an. »Ich habe mich immer gefragt, wer es wohl sonst noch hat«, sagte er. »Halten Sie mich nicht für wunderlich, aber irgendwie glaube ich, dass es mit einem Fluch behaftet ist. Immer, wenn ich es in der Hand hielt, kriegte ich eine Gänsehaut, und ich konnte es mir nicht erklären, denn es ist ja nichts weiter als eine Pfeife und ein paar alte Papiere. Ich weiß, es klingt verrückt, aber es schien mir immer, als ginge eine schlechte Energie davon aus. Fast hätte ich den Beutel einmal verbrannt, aber das konnte ich dann irgendwie auch wieder nicht, verstehen Sie?«
Andie nickte. »Sie und die Mädchen werden jetzt sicher sein. Können Sie mir das Tagebuch holen?«
»Es ist im Laden versteckt. Warten Sie einen Augenblick, ich bringe Sie runter.«
Loomis ging ins Haus zurück. Hinter Andie setzte der Chor der Baumfrösche ein, dann, von einem Teich irgendwo in der Nähe, das erste Quaken der Ochsenfrösche bei ihrem Paarungsritual. Eine leichte Brise trug den Duft von Veilchen herüber. Eines der Pferde schnaubte in der hereinbrechenden Dunkelheit.
Als der Uhrmacher wieder nach draußen kam, hatte er sich
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