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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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noch in sich nachhallen.
Dies hätte dein Leben nach dem Tode sein können, Pat.
Und zum ersten Mal gestand er sich ein, dass Emily vielleicht recht gehabt hatte. Er glaubte nicht an das Leben. Und er glaubte auch nicht an die Liebe. Wie sollte er auch? Er hatte ja nie zu lieben gelernt, nur zu überleben, indem er sich in sich selbst zurückzog, indem er das Leben auf Armeslänge von sich fernhielt. Gallagher hatte das Leben vorbeiziehen sehen, als wäre es ein ironisches Theaterstück, das in einem Aquarium stattfand.
    Als es darauf ankam, als er sich durch ein gemeinsames Kind völlig zu Emily hätte bekennen können, da hatte er sie zur Abtreibung genötigt und ihre Beziehung kaputtgemacht. Als es darauf ankam, als er Andie in ihrer letzten gemeinsamen Nacht mit einem Ausdruck der Liebe hätte antworten können, da hatte er sich in einen seiner Glaskästen zurückgezogen.
    »Ich hatte eine zweite Chance, und ich hab sie vertan«, stöhnte er ungläubig. Und dann begann er zu weinen. Um sich selbst. Um Andie. Und, ja, auch um Emily.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Gallagher. »Es tut mir so leid.« So lag er lange da, hilflos und hoffnungslos, und wartete darauf, dass die undurchdringliche schwarze Wand käme und seinem Elend ein Ende setzte.
    Damit ertappte er sich bei etwas, das er noch nie zuvor getan hatte. Er erhob sich auf die Knie, und seine Hände fanden ganz von selbst zusammen, um das Unsichtbare um ein Zeichen der Hoffnung, ein Zeichen der Vergebung zu bitten. Er betete zu etwas Höherem, dass er sich ändern könne und dass Andie verschont bleiben möge.
    Stunden danach hielt Gallagher erschöpft inne, überzeugt davon, dass es vergebliche Mühe gewesen sei. Seamus hatte recht gehabt. Es gab keinen Gott. Es gab kein Leben nach dem Tod. Wir tauchen kurz in einer grausamen Welt auf. Und verschwinden schnell wieder aus ihr.
    Andie Nightingale würde sinnlos unter den Händen eines Wahnsinnigen sterben, und es gab nichts, das er dagegen tun konnte. Gallagher schlug mit der Faust gegen die Tür des Schrankes, bis sie unter seinen Schlägen splitterte; dann wankte er in der schwülen Hitze des Nachmittags zu ihrem Bett und fiel bewusstlos auf die Decke nieder.
    Sein Schlaf war ein tiefes, traumloses Schweben in stetiger Schwärze. Doch um Mitternacht tauchte Gallagher aus dem Abgrund auf und glitt in jenen Zustand zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit. Ein warmes Lichtprisma erschien in dem hohlen Raum zwischen seinen Augen. Es drehte sich, gasförmig leuchtend, und besänftigte seinen Kopf, wie das Streicheln einer Frau einen sorgenvollen Mann beruhigen mag. Gallagher war gleichzeitig verblüfft und getröstet von der Schönheit des Prismas, und er hörte ein Pulsieren, das vom Schlag eines Stocks gegen ein ledernes Trommelfell herrührte, einem Schlag, den er als seinen eigenen Herzschlag erkannte. Das Licht bewegte sich langsamer und nahm Form an, unscharf zuerst, dann deutlicher als eine Frau in einem Mantel aus Büffelfell mit einer einzigen Adlerfeder im Haar.
    »Hilf mir, Sarah«, bat Gallagher.
    »Alles, was ich wollte, war, nach Hause zu gehen«, antwortete sie. »Alles, was irgendjemand will, ist, nach Hause zu gehen. Du kannst mich dort hinbringen. Du kannst sie dort finden. Nur du kannst uns frei machen.«
    Many Horses wandte sich um und trat in den weißesten Teil des Lichtes zurück. Es verschluckte sie wie etwa ein Schneesturm einen einsamen Wanderer auf einer kahlen Ebene, und das Licht verlor seinen strahlenden Glanz und wurde zum sanften Schein eines Sonnenuntergangs an einem fernen Horizont.

42
    Das Knacken der Äste im Wind brachte Andie an den Rand ihres Bewusstseins zurück. Ihre Kehle brannte nach dem Würgegriff. Ihre Lippen schmerzten wegen des Knebels, den ihr das Monster in den Mund gepresst und mit Isolierband festgeklebt hatte. Ihre Füße waren geschwollen von der Fallschirmkordel und dem Klebeband, das ihr die Knöchel zusammenband. Ihr Handgelenk pochte dort, wo es sie mit dem Tomahawk erwischt hatte.
    In der Ferne hörte sie Krähen schreien und zwang sich, die Augen zu öffnen. Was sie sah, verdoppelte sich, verschwamm, wurde schließlich klar.
    Sie lag auf der Seite auf einer schmutzigen Matratze in einem engen Bodenraum mit tiefer Decke. Ein loser Fensterladen quietschte in der steifen, feuchten Brise. Ein altes Hufeisen war an die Wand genagelt, daneben ein Metallschild, das Patronen für Winchestergewehre anpries. Zu ihren Füßen ragte die Spitze einer Holzleiter

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