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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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außen drang.

46
    Gallagher erwachte in sonnengesprenkeltem, wohlriechendem Gras, das in einem Wald aus sehr hellen Pappeln wuchs, über die eine ständige, wunderbar warme Brise wehte. Die Luft war erfüllt von der Flötenmusik eines in der Sommerhitze flach gewordenen Flusses.
    Sarah Many Horses erschien über Gallagher und wanderte dann zwischen den Pappeln in eine Richtung, die von dem Klang des Flusses wegführte. Sie trug eine Bluse aus blauem Jeansstoff, einen Kattunrock und hohe Lederstiefel. Ihr Haar war nach hinten zusammengenommen und wurde von einer mit Stachelschweinborsten geschmückten Spange gehalten. Gallagher setzte sich in dem duftenden Gras auf und rief sie, doch sie wandte sich nicht um. Er erhob sich und lief zwischen den hellen Bäumen hinter ihr her, aber er konnte den Abstand, der sie trennte, nicht verringern, sosehr er sich auch anstrengte.
    Nach einer Weile verlangsamte Gallagher sein Tempo und folgte ihr einfach. Am Rande seines Gesichtsfeldes nahm er verschwommen die Gestalten von Frauen, Männern und Kindern wahr, die parallel zu ihm durch den Wald glitten. Und jetzt hörte er den Klang eines zweiten Flusses vor sich. Für einen Moment verlagerte sich Gallaghers Aufmerksamkeit von Many Horses zu den anderen, die durch den Hain streiften.
    Etwas vor ihm und seitlich gingen sein Vater und seine Mutter. Agnes trug das blaue Kleid, in dem er sie bestattet hatte. Seamus folgte ihr in seinem alten grauen Tweedmantel und der Mütze aus dem gleichen Stoff.
    Gallagher wollte zornig werden, sie anhalten und ihnen sagen, dass er sie hasste für das, was aus ihm geworden war, doch zu seiner Überraschung spürte er nur Mitleid, und zum ersten Mal verstand er, dass auch sie auf ihrem Weg Suchende und Verirrte gewesen waren.
    Many Horses blieb stehen, um auf Gallagher zu warten. Er warf ihr einen Blick zu und sah dann wieder zu seinen Eltern hinüber. Sie waren jedoch im Strom der anderen Wanderer im Wald verschwunden, und da, wo sie gewesen waren, stand jetzt ein kleines Mädchen, nicht älter als drei Jahre. Sie hatte Emilys spitzbübisches Lächeln, ihr blondes Haar und ihre freche Nase. Ihre Augen, ihr Kinn und ihr Mund waren jedoch Gallaghers. Sie ging auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand und zog ihn weiter durch den Wald.
    Gallagher und das Mädchen erreichten ein Flussufer voller sonnengebleichter Steine. Eine gleißende Sonne ging auf der anderen Seite unter. In Ufernähe schien der Fluss seicht und leicht zu durchwaten zu sein, doch dann ging er in einen schnell fließenden, dunklen, geheimnisvollen Strom über.
    Menschen verließen den Wald auf der Insel und begaben sich in den Fluss. Viele zögerten am Rande des flachen Wassers. Manche sprangen entschlossen in die schnelle Strömung, durchschwammen sie mit ein wenig Mühe und verschwanden im blendenden Licht des Sonnenuntergangs am anderen Ufer. Andere begannen auf halbem Wege in Panik zu strampeln und wurden brutal stromabwärts gerissen.
    Gallaghers Eltern sonderten sich von der Menge ab und wateten in den Fluss. Er konnte nicht weiter hinsehen, als das Wasser ihnen bis zur Taille reichte.
    Many Horses hielt inne, als das Wasser ihr den Kattunrock an die Schenkel presste. Sie sah sehnsüchtig zu Gallagher. Er machte zwei Schritte auf sie zu, als ihn jemand am Handgelenk ergriff und ans Ufer zurückriss. Er wandte sich um und wollte sich aus dem Griff des kleinen Mädchens lösen und sah, dass Andie ihn so festhielt.
    Sie küsste ihn und führte ihn in das von Sonnenstrahlen gestreifte Halbdunkel des Inselwaldes zurück. Dort zog sie sich die Kleider aus, legte sich neben Gallagher und bedeckte sich und ihn von Kopf bis Fuß mit einer Decke aus Süßgras, die die letzten Strahlen der untergehenden Sonne filterte.
     
    Die weißglühende Hitze sengte noch Gallaghers Kopf, als er zu sich kam und auf dem Hüttenboden auf den Rücken rollte. Seine Zunge schmeckte nach Rauch, und aus seiner Nase troff Schleim. Dem Licht nach zu urteilen, das durch die Ritzen zwischen dem blauen Tuch und den verrotteten Fensterbrettern fiel, war es später Nachmittag. Die Kerzen waren zu Stummeln niedergebrannt. Eine von ihnen war bereits erloschen.
    Andie lag reglos und kaum atmend neben ihm auf dem Hüttenboden. Die Sorgenfalten waren aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie sah zehn Jahre jünger aus und war so strahlend schön, dass es Gallagher beinahe zu Tränen rührte. Ihre Augen flackerten, als sie sich öffneten. Die weiße Glut in seinem Kopf ging in eine

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