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Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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gehen.
    Und da war Andie Nightingale. An sie hatte er genauso oft gedacht wie an die Einzelheiten des Verbrechens, eine Tatsache, die er als etwas Positives zu sehen versuchte. Seit Emily ihn verlassen hatte, war Gallagher an weiblicher Gesellschaft nicht allzu interessiert gewesen. Am Sonntag hatte er jedoch mehrfach versucht, Andie anzurufen, um nach dem Stand der Ermittlungen zu fragen, aber auch, um ihre Stimme zu hören. Doch bei ihr zu Hause hatte niemand abgenommen, und der Mann in der Telefonzentrale der Staatspolizei von Vermont, in Bethel, gab ihm die Auskunft, sie sei dienstlich unterwegs.
    Gallagher hatte überlegt, ob er nicht Jerry Matthews anrufen sollte, um ihn zu überzeugen, dass eine Reportage über die Auswirkungen eines Mordes auf eine Kleinstadt in New England viel interessanter sei als ein Dokumentarfilm über einen Priester vom Anfang des Jahrhunderts und die katholischen Riten der Heiligsprechung.
    Er beschloss jedoch, sein Schicksal nicht herauszufordern. Gallagher hatte im vergangenen Jahr schon drei Projekte wegen ausgiebiger Angelexpeditionen aufgegeben. Wenn er jetzt ankündigte, er würde die Recherchen über Pater D’Angelo einstellen, würde Jerry wahrscheinlich seine Sachen packen, und ihre Zusammenarbeit wäre ein für alle Mal vorbei.
    Deshalb ließ er sich einen alternativen Plan einfallen: Er würde für beides recherchieren.
     
    Gallagher leerte seine Kaffeetasse, zahlte bei der Kellnerin und trat auf die Hauptstraße von Lawton hinaus. Er wollte gerade den Zebrastreifen zum Dorfanger überqueren, als der dunkelblaue Chevy Suburban von Chief Kerris heranfuhr und ihm den Weg versperrte. Sein Stellvertreter Gavrilis saß auf dem Beifahrersitz und sah mit seiner Ponyfrisur aus, als hätte man ihm mit einem Topf über den Kopf gestülpt die Haare geschnitten. Kerris saugte an seinem Lutscher und schob sich die Sonnenbrille nach oben, während das elektrische Fenster herabsank.
    »Na, immer noch bei uns, Mr. Gallagher?«, sagte Kerris mit spöttischem Unterton. »Ich dachte, die Leiche im Bluekill hätte Ihnen den Geschmack am Angeln in den hiesigen Gewässern verdorben.«
    »Ich bin ja nicht nur zum Angeln hier«, entgegnete Gallagher. »Ich hab Ihnen doch neulich schon gesagt, dass ich für einen Film über Pater D’Angelo recherchiere.«
    »Ach ja, stimmt, das sagten Sie wohl«, antwortete Kerris.
    Dann streckte er den Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand wie einen Revolver aus und zeigte mit dem Lauf auf Gallagher. »Ich habe den Brief gesehen, Pat«, erklärte er. »Ich beobachte Sie. Jeder, der in Lawton eine Rolle spielt, beobachtet Sie.«
    Die Reifen des Chevy quietschten, als er davonfuhr. Fünf Jahre zuvor hatte Gallagher eine längere Zeit in Tokio verbracht, um einen Film über die Verflechtung von Kampfkunst, Religion und japanischer Kultur zusammenzustellen. Die meiste Zeit hielt er sich in einem Aikido-Dojo auf. Der Sensei dort lehrte eine besonders brutale Grifftechnik, die »kote gaeshi« hieß und bei der das Handgelenk des Angreifers so lange geknickt wurde, bis er aufgab oder den Bruch dreier Knochen in Unterarm und Hand hinnehmen musste.
    In diesem Augenblick überkam Gallagher das unwiderstehliche Verlangen, diese Technik an Chief Kerris auszuprobieren.
     
    Es war fast zehn, als Gallagher die Grünanlagen durchquert hatte und drei Straßen weiter nach Osten ging, wo die Newton Street auf die Whelton Lane traf. Die katholische St.-Edwards-Kirche war ein weißer Holzbau mit einem einzigen Turm, der zwischen hundertjährigen Ahornstämmen aufstieg, deren Zweige die ersten roten Frühjahrsknospen trugen. Das angrenzende Pfarrhaus mit seiner Steinfassade bedurfte dringend einer Restauration. Um den Garten dahinter lief eine hohe Backsteinmauer. Über allen Mauern ragte wie ein ständiger Schatten der Stadt der Lawton Mountain auf. Dort oben standen die Bäume kahl und zinnfarben und verhießen noch keinen baldigen Frühling.
    Er öffnete das Tor, stieg die Stufen zur Veranda empor und klopfte. Weil er eher zu der ungestümen Sorte gehörte, wartete er nicht auf eine Antwort, sondern drehte am Türknopf und trat sofort ein. Das Innere des Pfarrhauses war ganz mit dunklem Holz getäfelt und mit roten Orientteppichen ausgelegt. An den Wänden des schmalen Flurs, der von der Diele ausging, hingen Fotografien und gemalte Porträts der verschiedenen Priester, die der katholischen Gemeinde von Lawton gedient hatten.
    Eines davon zog die Aufmerksamkeit besonders

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