Mystic
Ufer nieder und lauschte den Affen, die in der Ferne brüllten.
»Na, beten Sie, dass da Forellen drin sind?«
Gallagher machte einen Satz von ungefähr einem Meter. »Sie müssen so etwas wie ein Raubtier sein.«
»Ich?«, fragte Emily und kam einen Schritt näher. Sie zog das dünne, violette Batiktuch fest, das sie als Nachthemd um ihren bemerkenswerten Körper geschlungen hatte.
»Wieso?«
»Weil Sie die untrügliche Fähigkeit haben, sich mir zu nähern, ohne dass ich es merke«, sagte er.
»Leise Sohlen«, sagte sie lächelnd und streckte ihren nackten Fuß aus. Ihre Zehennägel waren mit Henna gefärbt. »Gestern habe ich einen schönen Teich oben am Fluss gefunden, wo es bestimmt Fische gibt. Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Im zunehmenden Licht der Morgendämmerung gingen sie den Fluss entlang und unterhielten sich über das Filmprojekt. Emily war überzeugt davon, dass sie den Tempel finden könnten, wenn sie noch ein, zwei Tage in der Gegend blieben. Doch Gallagher meinte, sie sollten weiterreisen und diesen Teil des Films mit den Bildern einer anderen Ruine, zweihundert Kilometer östlich, füllen.
Die Ufererde war schwarz und stank. Blütenübersäte, stechend riechende Kletterpflanzen hingen ineinander verwoben über den Pfad wie die langen Locken eines Rastas. Gallagher musste Emily über das Wurzelwerk silberborkiger Bäume und durch dichte Bambuswäldchen helfen.
»Wo ist denn nun der Fischteich?«, fragte er, nachdem sie fast eine halbe Stunde gelaufen waren.
Sie wies nach vorn auf ein dichtes, grünes Gebüsch, das in Morgenlicht getaucht war. Er zwängte sich durch den Vorhang und erstarrte. Der Teich lag still und wunderschön vor ihm. Insekten schlüpften und stiegen in der schweren Luft auf. Fische klatschten bei ihrer Futtersuche aufs Wasser. Doch am gegenüberliegenden Ufer des Flusses duckte sich ein Tiger. Er hechelte. Seine asiatischen Augen waren gelbe Halbmonde, halb in den Kopf gerollt. Er beobachtete ein junges Wildschwein, das zum Trinken an den Teich gekommen war.
Emily tauchte hinter Gallagher auf, ohne den Jäger wahrzunehmen. Er langte nach hinten und hielt ihr die flache Hand an den Bauch, um sie zu bremsen. Sie drückte gegen seine Hand. Der Tiger sprang.
Gallagher wandte sich um und zischte: »Ein Tiger! Weg hier!«
Sie hörten ein Klatschen, dann quiekte das Schwein gellend, während sie den Pfad zurückrannten. Emily stolperte, verlor das Gleichgewicht und fiel. Er fasste sie unter die Achsel und zog sie hoch, und sie rannten weiter in das Labyrinth von Pfaden, die vom Flussufer wegführten. Sofort bogen sie in eine falsche Wegmündung ein. Fünfhundert Meter weiter standen sie in der Stille des Dschungels vor den Umrissen eines kleinen Steingebäudes, das über und über von gelben Dschungelblüten bedeckt war. Die Luft war vom Duft der Blüten gesättigt. Affen kreischten in den Baumkronen über ihnen.
»Der Tempel!«, rief Emily aus. »Wir haben ihn gefunden!«
Sie packte Gallagher und zog ihn zum Eingang. Die Stufen waren aus behauenem rötlichen Felsgestein geformt. Sie mussten die Ranken wegreißen und sich bücken, um hineinzugelangen. Ein Affe flitzte zwischen ihren Beinen durch und erschreckte sie fast zu Tode. Gallagher leuchtete mit seiner Taschenlampe. An den Wänden befanden sich Reliefs und verwitterte Fresken von Frauen und Männern beim Liebesakt.
»Die Tantriker glauben, dass es möglich ist, das Göttliche in uns durch geschlechtliche Vereinigung zu entdecken«, flüsterte Emily.
Vielleicht lag es daran, dass die Angst vor dem Tiger so schnell von der Aufregung abgelöst wurde, den Tempel mit seinen eindeutigen Darstellungen gefunden zu haben, doch war Gallagher sich ihrer Nähe plötzlich stärker bewusst, als er es je bei einer Frau erlebt hatte. Emily starrte ihn an. Eine Welle summender, schwüler Wärme hüllte seinen Kopf ein. Ein sanfter Schimmer Tageslicht fiel jetzt durch den Tempeleingang und tauchte Emilys feuchte Haut in kupfernes Licht. Sie gingen aufeinander zu. Das Tuch fiel von ihr ab.
Irgendwo im Dschungel hörte Gallagher den Tiger brüllen und in der Ferne dumpfe Trommeln.
13
Die Trommeln kamen näher, wurden lauter und durchdringender, und Gallagher erwachte und wurde sich schlagartig bewusst, dass es heller Morgen war und jemand unaufhörlich an die Tür seiner Hütte hämmerte. Schlaftrunken stand er auf und stolperte die Stufen hinab, spähte durch die Vorhänge und sah, dass es wieder in Strömen regnete. Sein
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