Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mystic

Mystic

Titel: Mystic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
Vom Netzwerk:
Explorer war das einzige Fahrzeug, das unter den Birken parkte.
    Er öffnete die Tür, und Andie Nightingale stand vor ihm im Regen, tropfnass und mit Tränen in den Augen. »Mein Pick-up ist wieder kaputt«, schluchzte sie. »Und ich brauche ein Auto. Jetzt gleich.«
     
    Der dichte Regen und die Nebelschwaden auf der River Road, die in Serpentinen an die Südflanke des Lawton Mountain hinaufging, wirkten so bedrohlich wie ein glitschiger weißlicher Tunnel, der sich in einen blinden Himmel windet. Der Geländewagen schlingerte wild in der dicken Schlammschicht, die der Sturm auf die Straße gepeitscht hatte.
    »Können Sie nicht schneller fahren?«, drängte Andie Nightingale.
    »Nicht, ohne uns umzubringen«, rief Gallagher zurück und klammerte sich an das Lenkrad.
    Sein Schädel dröhnte von der Geschwindigkeit und den Vorfällen dieses Morgens. Es war ein Feuer ausgebrochen. Olga Dawson war tot.
    Andie klagte laut vor sich hin, als könnte sie es nicht glauben: »Als ich sie gestern verließ, ging es ihr noch gut. Ich hätte bleiben sollen. Ich hätte bei ihr bleiben sollen.«
    Dann verfiel sie wieder in Schweigen und forschte in dem Nebel nach bekannten Umrissen. Sie bekam einen Schluckauf vor Aufregung. Gallagher hatte den verzweifelten Wunsch, sie zu beruhigen, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken. Am Grab seiner Mutter und an dem Tag, als Emily ihn verließ, hatte Gallagher das Gleiche durchgemacht, was er jetzt bei der Polizistin beobachtete.
    Seiner Mutter siebenundfünfzig Monate dauernder Bloody-Mary-Suff begann am Tage nach Seamus’ Begräbnis. Er hatte sich hinter seinen Büchern vergraben, um ihre Selbstzerstörung nicht mit ansehen zu müssen. Er konnte Agnes’ Gegenwart nur ertragen, wenn er gläserne Wände um sich errichtete, die ihn zu einem Zuschauer machten, der eine Tragödie vor sich ablaufen sah wie einen Film.
    Agnes erhielt immer weniger Honorarschecks für ihre Artikel. Eine Zeitlang half sie abends beim Fundraising für die ACLU , verlor den Job aber, weil sie sich bei der Arbeit betrank. Ihre Freunde und Gallagher baten sie dringend, sich helfen zu lassen. Sie weigerte sich. »Wodka ist jetzt meine einzige Liebe!«, schrie sie. »Das könnt ihr mir nicht nehmen!«
    Im Sommer, als Gallagher zum Studium nach Cornell ging, wurde seine Mutter ein Fall für die Sozialhilfe und konnte kaum noch ihre Wohnung unterhalten. Während der Ferien kam er nur selten nach Hause, er zog es vor, sich ein Leben zu erfinden, das mit den Schrecken der Clinton Street nichts zu tun hatte.
    In den Osterferien seines zweiten Jahres an der Universität stieß Gallagher in einem Sportgeschäft in der Innenstadt von Ithaca auf Isabel Martin, die gerade eine Rolle für eine Fliegenrute kaufte. Er hatte Isabels Vorlesung besucht, die ihre Forschungen über die erzwungene Sesshaftigkeit der Tuareg, einen einstmals nomadenhaft lebenden Stamm der westlichen Sahara, zum Thema hatte.
    Gallagher ging auf Isabel zu und sagte ihr, dass ihm ihre Vorlesung gefallen habe. Sie war elf Jahre älter als er, eine dunkle Schönheit mit Sinn für Humor und einem lustvollen Lachen. Sie lebte getrennt von ihrem Mann, der an der Universität von Wisconsin lehrte, und arbeitete mit einem Jahresvertrag in Cornell, während sie gleichzeitig eine dauerhafte Position suchte. Isabels liebste Freizeitbeschäftigung war das Forellenfischen, eine Kunst, die sie von ihrem Vater gelernt hatte. Sie und Gallagher unterhielten sich lange über Anthropologie und Fischen. Gallagher hatte noch nie in seinem Leben geangelt, doch ihre Begeisterung steckte ihn sofort an. Sie lud ihn ein, sie an einen kleinen Fluss in der Umgebung zu begleiten, um es zu lernen.
    In einem Wirbel von drei Monaten brachte Isabel Martin Gallagher die meditativen Eigenschaften der Angelrute und der Flüsse nahe sowie die körperlichen Vorzüge eines gesunden sexuellen Appetits. Im Juni kehrte sie zu ihrem Mann zurück und ließ ihn weiser, aber auch verwirrter zurück als je zuvor.
    Am Tag nach Isabels Abreise bekam Gallagher einen Anruf von einem Sozialarbeiter, der ihn darüber informierte, dass seine Mutter ins Krankenhaus eingewiesen worden war. Es ging rasch bergab mit ihr. Gallagher fuhr nach New York, um Abschied zu nehmen.
    Agnes’ Haut war so gelb wie eine überreife, beschädigte Zitrone, als er ihr Zimmer betrat. Von dem dauernden Delirium arg mitgenommen, nahm sie die Anwesenheit ihres Sohnes kaum wahr und murmelte nur einen zusammenhängenden Satz, an

Weitere Kostenlose Bücher