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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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Liebe würde keinerlei Tröstungen annehmen, die ihr durch Verdienste zukämen. Ganz sicher nicht.« 23

    An dieser Stelle ist es für uns Leserinnen fast unmöglich, nicht auch ins eigene Leben hineinzufühlen, danach zu fragen,ob es nicht auch hier eine fern-nahe Liebe gegeben habe, was aus ihr geworden ist und womit sie uns vielleicht beschenkt hat. In Marguerites »Spiegel« ist ja nicht nur eine revolutionäre Gottesliebe angesprochen, sondern diese fordert uns ja auch gewaltig heraus im Blick auf die Liebe zwischen Menschen. Es ist die Frage, ob man in dieser restlosen Hingegebenheit unter Menschen überhaupt leben kann und leben darf. Die Frage wird von Marguerite in einer Kühnheit aufgeworfen, die fast uneinholbar ist. Die Liebe zu dem Fern-Nahen verlangt nach keiner Rechtfertigung oder Begründung. Analog zur hohen Minne der Troubadoure begründet sie sich selbst und genügt sich selbst. Und kennt kein Warum, sie liebt, weil sie liebt. Gewissermaßen ist sie maßlos. Denn nur die Liebe selbst ist ihr Maß. Eine solche Liebe ist nach Marguerite Porète allein dadurch für die Menschenseele möglich, dass der Fern-Nahe selbst sie aus ihr herausgeliebt hat und diese Sehnsucht in ihr geweckt hat, eine Liebe ohne Warum und Maß, die hinreißend, »ravissante« , die genug ist, die Seele vollständig zu erfüllen, die sich über ihr, in ihr verliert. Ich denke, dass, wer je Liebe erlebt hat, versteht, dass Marguerite die Sprache der Liebe in ihrem ganzen Paradox spricht. Liebe erfüllt sich, indem ich mich an sie verliere. Ich verliere mich, indem ich sie finde. Und indem ich mich an sie verliere, finde ich mich. So paradox ist es, wann immer wir lieben.
    Nach einer bildhaften Beschreibung im miroir ereignet sich die Liebesgeschichte zwischen der Seele und dem Fern-Nahen in einem Feuer, das alles das verbrennt, was trennend zwischen den Liebenden stehen könnte. Das ist ein Bild, das Marguerite Porète gerne gebraucht: Wie Feuer, das das Eisen aufglühen und in der Glut umzuformen vermag, so ist die Liebe. Aufglühend sind Feuer und Eisen ungetrennt. So verschmelzen Gott und die Seele in der Glut. Aufgrund der biblischen Aussage: »Gott ist die Liebe« (1 Joh 16) verbindet Marguerite Porète ihre Liebes-Lehremit einer Seins-Lehre. Dabei denkt sie dies: Die Menschenseele, die in ihrem Status als Geschöpf ihr Sein nur in der Teilhabe am Sein Gottes hat, aber eben auch wirklich als Teilhaberin am Sein Gottes, verlangt nach diesem ihrem Ursprung zurück. Die unio mystica , die Liebesvereinigung mit ihrem Schöpfer, vollzieht sich im Ursprung, im ungeteilten Sein, wo die Seele wieder das wird, was sie war, ehe sie geschaffen wurde – und zugleich das wird, wozu sie geschaffen ist. Zugleich scheut sich Marguerite Porète doch vor der Aussage, die Seele löse sich im Sein Gottes auf, ginge in ihm auf, so dass man sagen könnte, ich bin Gott. Im Raum des Hinduismus wird diese Aussage gewagt. Doch Marguerite Porète kehrt immer wieder zur christlichen Sprache der Braut-Mystik zurück und lässt nicht das Ich, nur das größere Selbst, nur die Liebe selbst die Worte sagen:

    »›Ich bin Gott‹, spricht die Liebe. ›Denn die Liebe ist Gott. Gott ist die Liebe.‹« 24

    Und diese Seele ist Gott durch Liebesübereinkunft. 25 Marguerite Porète setzt die Seele und Gott nicht ununterschieden identisch. So wie Liebende durch die Liebe immer verbunden sind, so hat sie durch die Liebe teil an Gott. Sie lässt die Liebes- und Seinslehre ineinander gleiten. Auch die Christus-Nachfolge Marguerite Porètes – letztlich ist der »Loin-Près« ein Bild von Christus – besteht weniger, als in der damaligen Frömmigkeit üblich, in einer Imitation Christi oder in der Nachfolge, als vielmehr im Nachvollzug seiner Liebesverbundenheit mit Gott. Der fern-nahe Geliebte ist, wie gesagt, letztlich Christus, mit dem sie in die Herrlichkeit des Ursprungs einzukehren sucht, von der er bei Johannes in den Abschiedsreden spricht. Das geschieht schon in diesem Leben, hier und jetzt: »Wer Gott schaut, ist im Paradies«, so kann sie sagen.
    Zwar arbeitet auch sie mit der Wegvorstellung, dem Tal der Demut, der Ebene der Wahrheit, dem Berg der Liebe, wie wir anfangs hörten. Auch die für die Beginen-Mystik charakteristische Phase des einander Suchens, Umherirrens und Verirrens kommt bei ihr vor, als Vorstellungen aus dem Hohen Lied. Die Abschnitte sind mehr Stadien als Stufen. Es ist kein systematischer Weg, denn Systematik ist keine Sache der

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