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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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Widerspruch zu den Brüdern und Schwestern vom Freien Geist gesetzt, waren diese doch noch revolutionärer als die Beginen, und galt insofern als unverdächtig. Dies sicherte dem Buch das Überleben. Unter Ruysbroeks Namen wurde es unverfälscht und ungekürzt weiterverbreitet. Noch um 1439, also 139 Jahre später, fanden sich 36 konfiszierte Exemplare bei einer päpstlichen Kommission. Das Buch lief wie ein Lauffeuer.

    Erst 1946, also um die Mitte des 20. Jahrhunderts, wurde als Verfasserin des »miroir« wieder Marguerite Porète nachgewiesen und zwar durch die Nachforschungen einer Wissenschaftlerin, Romana Ganieri, die pikanterweise in dem päpstlichen Publikationsorgan »Osservatore Romanum« eine Chronik vorlegte, in der der folgende Text im Zusammenhang mit dem Namen Marguerite Porètes erschien. Es hieß da, sie habe behauptet, »dass die in der Liebe zu ihrem Schöpfer vernichtete Seele ihrer Naturohne Skrupel und Gewissensbisse alles erlauben darf und muss, was diese wünscht und verlangt«. Man verfolgte den Weg des Zitats zurück über die Akten des historischen Prozesses gegen Marguerite Porète, verfolgte ihre damaligen Aussagen, welche man dann im »Spiegel der einsamen Seelen« wortgetreu auffand. Also musste sie diejenige gewesen sein, von der der »Spiegel« stammte. Das weiß man erst seit 1946. Gewiss kommt einem dabei auch das berühmt gewordene Wort St. Augustins in Erinnerung, »Liebe und tu, was du willst« – darauf hätte Marguerite Porète sich berufen können! Doch was galt die Begine im Vergleich zu dem berühmten Kirchenlehrer?
    Was die äußere Verdächtigung, das Verbot ihres Buches durch die Inquisition betrifft, ahnen wir jetzt vielleicht schon, woran sie sich festmachen konnte. Es sind einige Konfliktfelder, die der kritischen Zensurbehörde besonders ins Auge stachen. Sie betrafen mutatis mutandi die gesamte Beginen- und Begarden-Bewegung. Doch gegen Marguerite Porète wurden diese Gedanken zugespitzt formuliert. Es ging einerseits um die Rolle der Moral, der Tugenden, der guten Werke für das Heil, die Anstößigkeit einer Aussage wie dieser: »die von der Liebe erfüllte und in ihr vernichtete Seele dürfe alles«. Zum anderen ging es, damit zusammenhängend, um die – möglichst unentbehrliche – Rolle der Kirche im Blick auf die Heilsvermittlung und Gotteserfahrung. Die Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung war, wie gesagt, die Devise der Beginen. Was bedeutete dies für die Rolle der Kirche? Dazu ist zu sagen, dass die Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung bei Marguerite Porète, das Aufgehen ihrer Seele im » Loin-Près« , dem »fern-nahen Geliebten«, eigentlich einer Vermittlung der Amtskirche nicht mehr bedarf. In diesem Zusammenhang findet sich bei ihr eine interessante Unterscheidung zwischen der »Sainte Eglise la grande « , der »Heiligen Kirche«, der Großen, der Kirche des Geistes, und der »SainteEglise la petite «, der Kleinen, der empirischen Lehr- und Amtskirche. Die Große Heilige Kirche und die Kleine wurden von ihr unterschieden. Zur Großen gehören für sie alle, die im Geist der Liebe stehen. Zur Kleinen die Vertreter der Amtskirche und der angstbesetzten Inquisition. Deren verständnislose Fragen werden in ihrem Buch eher der Ratio zugeordnet, als dass sie der Liebe oder der Seele zugetraut werden könnten. Immerhin bleibt auch »die Kleine« für Marguerite Porète ein Teil der »Großen« Sainte Eglise, der Heiligen, wenn auch »la petite« für sie die kleinmütige, die kleinliche war. Die Rolle der tugendhaften Taten und Werke, die in der mittelalterlichen Theologie und Moral eine so große Bedeutung haben, wird in Marguerites »Spiegel« ausführlich reflektiert. Der Anteil der Tugenden und der Moral auf dem Weg zu Gott verringert sich nach Marguerite jedoch schrittweise mit dem Aufstieg der Seele zur Liebe und letztlich zu der Liebesvereinigung mit Gott. Da werden solche Vorschriften immer weniger wichtig. Die Seele findet das der Liebe Angemessene selbst. Marguerite Porète hat solche Freiheit aus Liebe auch im Blick auf die strengen Gebote des Fastens, des Gebets und sogar auf die Messfeiern bezogen. Die Freiheit, die wir heute in solchen Dingen haben, ist von Menschen wie Marguerite Porète erlitten und erkämpft.

    Die Seele wird mit dem Maß ihrer Liebe immer unabhängiger. Man hört, welche Brisanz darin steckt, auch heute noch. In einer dramatischen Szene bekennt die » Seele«, dass sie lange Zeit und manchen Tag im Dienst der Tugenden

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