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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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Liebe. Deren Weg ist weit entfernt von einer Erfolgsleiter. Der systematische Weg wäre noch eigenmächtiges Werken für sie, auf dem man dann stolz sein könnte, auf der einen oder anderen Stufe angekommen zu sein. Solche Methodik liegt Marguerite Porète überhaupt nicht. Der Weg führt vielmehr durch wüstenartiges, teilweise schwieriges Gelände, in dem sie Hunger und Durst, aber auch ekstatische Trunkenheit erfährt, denn der Fern-Nahe kann ihr plötzlich ganz nahe sein. In dem, dass er ihr dann wieder ferne erscheint, erlebt sie den Durst. Das aber macht Liebe intensiv, dass ich nach dem Geliebten intensiv dürsten kann. In einem Kapitel des miroir spricht Marguerite Porète auch von der Trunkenheit, die in das »Land des Lebens« führt. Der topographische Ort für Gott ist für sie das Land des Lebens. In liebender Nacktheit gleichsam geschieht es, dass die Menschenseele die reine Liebe im reinen Sein zu verwirklichen vermag. Die nackte Liebe in der transformierenden Verbindung mit Gott bedarf keiner Vermittlung. Vor diesem ihrer Gedanken setzt die Verdächtigung durch bestimmte Stellen der Kirche ein: »Ohne Vermittelndes«, das klingt unerhört! Wie sollte die Kleine Heilige Kirche, die kleinliche, verstehen, was die in der Liebe verbrennende Seele über sich und damit über sie aussagt?

    »… Denn ganz so wie das Eisen vom Feuer umkleidet ist und sein eigenes Aussehen verloren hat, weil das Feuer, das dieses in sich verwandelt, stärker ist, so wird diese Seele mitdem Fluss überkleidet, gespeist und verwandelt in ein Meer. Diese Seele liegt in der lieblichen Gegend des Überfriedens. Darum gibt es nichts, das denen, die lieben, beistehen oder sie kränken könnte; weder ein Geschöpf, noch eine verliehene Gabe, noch etwas sonst, das Gott versprochen hat.

    ›Aber wie denn?‹, widerspricht die Vernunft.« 26

    Und Marguerite Porète lässt ihre Gestalt der Liebe mit folgenden Worten antworten, die zu den Anklagepunkten des Chef-Inquisitors in Paris gehören werden. Sie antwortet:

    »Das, was noch nie jemals gegeben wurde, auch nicht gegeben ist und nie je gegeben wird, dieses hat mich von allem entblößt und zunichte gemacht, ohne dass ich mich um irgendein Ding, das ist, kümmern muss. Diese Seele begehrt somit keinerlei Hilfe oder Schonung, weder von seiner Macht noch von seiner Weisheit noch von seiner Güte.« 27

    Das sind unerhörte Paradoxe! Diese kühne Frau hat gelebt, was sie sagte. Sie musste mit ansehen, wie ihr Buch »Der Spiegel der einfachen Seelen« von der kirchlichen Zensur verboten und in ihrer Gegenwart öffentlich verbrannt wurde. Und dennoch! Man fragt sich, was war das für eine Zeit, in der weite Kreise für derart subtile Gedanken und ein solch hinreißendes spirituelles Liebesfeuer offen waren – trotz der Gefahr der kirchlichen Inquisition! Sainte Eglise la grande, die Große geistige Kirche war offen dafür, weit geöffnet. Sainte Eglise la petite dagegen ertrug solche entgrenzte und entgrenzende spirituelle Liebe, die alle kirchliche Vermittlung relativierte, nicht.

    Der Grund dafür, dass Marguerite Porète von neuem angeklagt wurde, ist vermutlich darin zu sehen, dass das Buchweiter zirkulierte. Hätte sie das mit ihren bescheidenen Mitteln überhaupt verhindern können? Das kümmerte die Ankläger nicht. Der damalige Generalinquisitor, Guillaume de Paris, der kurz zuvor Mitglieder des Templer-Ordens hatte verurteilen und verbrennen lassen, übernahm den Fall persönlich. So wichtig wurden »der Spiegel« und Marguerite Porète als einflussreiche Frau mit einer hinreißenden Botschaft eben doch genommen. Sie wurde aufgefordert, die für die Vernehmung üblichen Eide zu leisten und über ihre Lehre Auskunft zu geben. Beides lehnte sie ab, denn sie habe im Spiegel gesagt, was sie zu sagen hatte. Sie schwieg angesichts der Anklage. Sie verteidigte sich nicht und antwortete nicht. Man muss allerdings bedenken, dass das Gericht in seiner Zusammensetzung eine widersinnige Konstruktion war. Der Inquisitor zum Beispiel war zugleich der Beichtvater. Konnte man demgegenüber etwas anderes tun als schweigen? Man inhaftierte sie in Paris für 18 Monate, um Sinnesänderung und Widerruf zu erreichen. Man kettete sie an und verweigerte ihr die Sakramente. Sie hielt stand. Die Inquisitionsbehörde identifizierte einige aus dem Zusammenhang gerissene Sätze als ketzerisch und versuchte erneut ihren Widerruf zu erreichen. Dieser Versuch scheiterte wiederum an ihrer absoluten

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