Mystik des Herzens
kennen lernte, wurde er doch unmittelbar nach ihrem Tod an die Sorbonne berufen. Er war durch die Seelsorge mit Beginenkreisen mit deren Denken vertraut, vor allem aber auch mit dem der Dominikanerinnen. War er doch selbst Dominikaner. Die Dominikanerinnen wiederum schätzten die Beginenfrömmigkeit hoch. Auch die Idee oder vielmehr die Erfahrung einer »Nichtigung der Seele« im Aufgehen in Gott, so wie der Wassertropfen im Meer aufgeht, findet sich auch bei Meister Eckart. Um Nichtigung geht es hier, nicht um Vernichtung, sondern um ein Leerwerden, um von ihm erfüllt werden zu können. Wie der ins Meer einströmende Fluss verliert die in Gott einströmende Seele ihren Eigennamen: Das wiederum ist ein Bild von Marguerite Porète.
Das Nichtswissen und Nichtswollen angesichts des fern-nahen Geliebten, wovon Marguerite Porète immer wieder spricht, steht andererseits in der Tradition der theologia negativa , die das auch in der Kirche übliche anmaßend affirmative Reden über Gott einfach nicht länger erträgt 21 , völlig unangemessen findet. Die sogenannte theologia negativa ist eine Strömung innerhalb der Theologie, die davon ausgeht, dass wir nichts darüber wissen,wer Gott sei. Wir wissen nur mit einiger Sicherheit, was er nicht ist. Und so wird von der Gottesvorstellung all das, was er gewiss nicht ist, weggenommen, Vorstellung für Vorstellung, und gerade dadurch wird das Geheimnis Gottes umkreist, und wird dabei immer größer. Theologia negativa ist ein Stoß gegen die Auffassung, wir wüssten, wer Gott sei. Die Ratio kann nach der theologia negativa allenfalls erkennen, was Gott nicht ist, während die Seele in ihrer wundersamen Verbindung mit dem Fern-Nahen eben dieses Nichtwissen erfährt, das mehr ist als Wissen. Weiß doch auch menschliche Liebe um den »Geheimnisstand« (Eckart Wiesenhüter) des Geliebten, und sie weiß damit mehr von ihm, als wenn sie meinte, ihn durch und durch zu kennen.
Marguerite Porètes Liebeslehre ist es wert, dass man näher auf sie eingeht. Auch für Marguerite war Gott wie für ihre Beginen-Schwestern Hadewich und Mechthild von Magdeburg »der Bräutigam ihrer Jugend«, die erste Liebe. Ich weiß zu wenig von Marguerites Lebensgeschichte, um sagen zu können, ob da einmal eine Liebe war, die den Pfeil der Sehnsucht hinaustrieb ins Transzendente, an welcher menschlichen Begegnung sie zu lieben gelernt haben mag. So beschreibt sie im »Spiegel« ihre Beziehung zu Gott als ein lebenslanges Liebesabenteuer, das nicht nur zur festen Beziehung wurde, sondern auch immer umfassender von ihr Besitz ergriff und sie gänzlich in sich aufnahm. Freimütig hatte sie alles dafür hingegeben, auch ohne irgendein Warum. Denn sie weiß sich als die Geliebte des »Bräutigams ihrer Jugend«. Er ist die Sonne, die strahlt und erwärmt und die jedes aus seinem Sein gespeistes Lebewesen ernährt. Diese Seele kennt keine Zurückhaltung, keine Ungewissheit und kein Missbehagen.
»›Wie das?‹, spricht die Vernunft.
›Durch sicheres Bündnis und wahre Übereinkunft‹, sagt die Seele.« 22
Also bestehe eine wahre Übereinkunft zwischen ihr und Gott, eine Liebesgemeinschaft. Die Niederschrift dieses Buches setzt ein, so schreibt sie, als sie auf der Höhe ihrer Liebeswahl steht und sich mit dem Fern-Nahen unverbrüchlich verbindet. Die Sprache des miroir ist einerseits die, die mit der Liebesdichtung der Troubadoure verwandt ist, die von der »hohen Minne« sprechen, andererseits ist es die Sprache der Johannes- und der Paulus-Briefe des Neuen Testaments, die diese Frau, wie wir aus ihren Zitaten in ihrem Buch ersehen, selbständig übersetzt und ausgelegt hat. Das war damals für Frauen verboten, und die allermeisten der Frauen waren überhaupt nicht dazu fähig. Schließlich beherrscht Marguerite Porète, und das ist wunderlich genug, auch die philosophisch spekulative Sprache der scholastischen Theologie, deren diskursive Methode sie benutzt, um sie zugleich auch ein wenig zu karikieren. Die » Ratio« ist hier ausgerechnet diejenige, die sich immer wieder besonders ungeschickt anstellt angesichts der Mystik. Das weist ihr Marguerite Porète im »Spiegel« mehrfach nach. Was die » Ratio« nicht begreifen will, das ist das, was die » Seele« sagt:
»Das Trachten der reinen Liebe hat nur eine einzige Absicht. Die ist, beständig aufrichtig zu lieben, ohne dabei irgendwelchen Lohn zu begehren. Und dies kann die Seele nur verwirklichen, wenn sie frei von sich selbst ist. Aufrichtige
Weitere Kostenlose Bücher