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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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Standhaftigkeit. Sie schwieg. Ein Begarde und Mitarbeiter eines Beginenklosters widerrief an ihrer Stelle, statt ihrer, und legte es ihr gleichsam in den Mund – was er im Ernst ja gar nicht konnte und durfte – und wurde dafür zu lebenslänglichem Gefängnis »begnadigt«, wie man das damals nannte. An einer solchen »Begnadigung« lag ihr nicht.
    Eine Kommission von 21 angesehenen Theologen wurde einberufen, und alle 21 Männer verurteilten die ihnen vorgelegten inkriminierten Sätze. 28 So wurde sie am 1. Juni 1310 in Gegenwart der geistlichen und weltlichen Obrigkeit und einer großen Menge einfachen Volkes, viele unterihnen laut weinend, als Ketzerin bei lebendigem Leibe verbrannt.
    Zeitzeugen haben ihren Gang zum Scheiterhaufen mit hoher Achtung vor ihrer noblen Gesinnung, in der nichts galt als die Liebe, mit Würde und Gefasstheit beschrieben; in der Gewissheit, eins zu sein mit dem »Loin-Près« , dem fern-nahen Geliebten. Die innere Freiheit derer, die schon zuvor gleichsam den Liebestod der Selbsthingabe gestorben war, bezeugt einer ihrer Sätze in ihrem miroir :

    »Jetzt ist diese Liebe dem Adler vergleichbar, weil sie hoch und immer höher fliegt und höher als irgendeiner unter den Vögeln. Denn sie ist mit der edlen Liebe befiedert. Da erscheint die Schönheit der Sonne ganz klar… Die Liebe ist mir nahe bei. Durch sie halte ich mich für befreit. Ich bin ohne Furcht und dies allem gegenüber.« 29

Fünftes Kapitel: Die Träumenden zum Handeln, die Handelnden zum Träumen bringen – Dorothee Sölle (1929–2003)
    Fünftes Kapitel
    Die Träumenden zum Handeln, die Handelnden zum Träumen bringen
    Dorothee Sölle (1929–2003)
    Eine Frau unserer Zeit ist Dorothee Sölle, keine Nonne; eine akademisch gebildete Frau, Tochter eines angesehenen Historikers, Nipperdey. Sie studierte evangelische Theologie und Literaturwissenschaft, ist zuerst im Schuldienst, später in freier wissenschaftlicher und schriftstellerischer Arbeit tätig, hat sie doch nie eine theologische Professur in Deutschland bekommen, wohl aber in New York. Sie war zweimal verheiratet, hat vier Kinder, darunter ein behindertes, das letzte der Kinder mit ihrem zweiten Mann, Fulbert Steffensky, der, ehemals Benediktiner, um der größeren geistigen Freiheit willen in die evangelische Kirche eintrat, der katholischen Spiritualität aber immer verbunden blieb. Er war bis zu seiner Emeritierung Professor für Religionspädagogik an der Universität Hamburg. Für Dorothees Verbundenheit mit Fulbert gibt der Brief »Dorothee an Mr. Death« ein beredtes Zeugnis:

    »Dear Mr. Death, sehr geehrter Herr Tod,
Ich habe eine Bitte an Sie und wünsche mir, dass Sie diese Nachricht durchlesen und an einen Zuständigen weitergeben. Seit über 30 Jahren lebe ich in einer großen Liebe. Ich habe keine Angst vor Ihnen, Mr. Death. Was ich fürchte, ist das Alleingelassenwerden, wenn mein Lache- und Weinepartner von mir fort muss. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich in diesem Fall Ihnen entgegenkommen würde mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Aber es wäre anders, wenn wir beide zusammen gehen könnten. Manchmal vermute ich, dass Liebe – falls wir wissen, waswir mit diesem Wort sagen – das Einzige ist, wovor Sie Respekt haben.
    In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, uns nicht zu trennen.
    Dorothee.« 1

    Aussprüche Dorothees sind mir unvergessen, der eine betrifft ihren Mann: »Er ist mein mildernder Umstand«, der andere ihre Situation in der Familie: »Weißt Du nicht eine Haushaltshilfe für mich?« Dorothee Sölle war also Frau, Mutter von vier Kindern, und dazu hochengagierte, kompromisslose Theologin mit politischem Engagement, um des Evangeliums willen, das nach ihrer Auffassung von der realen Befreiung der Menschen, auch in sozialen und politischen Zusammenhängen, spricht. Sie ist zu ihren Lebzeiten die meistgelesene theologische Schriftstellerin in Deutschland. Nach ihrem Tod im Jahr 2003 – sie ist 74 Jahre alt – bringt die von kritischen katholischen Christen getragene Zeitschrift »Public Forum« ein Sonderheft über sie heraus, unter dem Stichwort: »Wie eine brennende Fackel in der Nacht…«. So leuchtete sie vielen auf ihrem Weg über eine düstere Zeit, weckte Zorn und Begeisterung, Ablehnung und Liebe.

    Man könnte fragen, ob Dorothee Sölle, die gerade noch unter uns lebte, die mit ihrem kompromisslosen theologischen und politischen Denken viel umstritten war, wirklich in die Gruppe der Mystikerinnen gehöre,

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