Mythor - 023 - Befehle aus der Schattenzone
Giantons genau erkennen, alles verschwamm und schien sich aufzulösen. Fast war es, als habe nichts in dieser grässlichen Stadt Bestand, nicht einmal die Härte der Felsen.
»Sinnlos«, murmelte der Herzog. »Keine Aussicht.«
»Wir müssen es versuchen«, sagte Nyala beschwörend. »Wir können uns doch nicht einfach aufgeben.«
Sie sagte genau das, was ihr in ähnlicher Lage nicht hatte einfallen wollen. Insgeheim hatte sie alle Hoffnung darauf gesetzt, dass es ihrem Vater gelingen würde, dem Unheil eine Wende zu geben, aber jetzt musste sie mit Schrecken erkennen, dass Herzog Krude von Elvinon ein gebrochener Mann war. Nur sie allein musste nun die treibende Kraft sein.
»Wir werden schon einen Weg finden«, sagte sie drängend.
»Wir müssen einfach.«
Herzog Krude lächelte milde. »Es wacht einer draußen«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die Tür. »Einer, dem man nicht entrinnen kann.«
»Wen meinst du?«
»Drudin«, stieß Herzog Krude hervor.
»Du hast ihn gesehen, Vater?«
Der Herzog schüttelte den Kopf. »Nicht gesehen«, sagte er, »nur gesprochen. Er ist mir zwar gegenübergetreten, aber es war nichts von ihm zu sehen, nur eine vermummte Gestalt. Er zeigt sich niemandem.«
»Soll er«, sagte Nyala leichthin. »Wir sind endlich wieder zusammen, und jetzt sollten wir etwas tun, dass wir auch zusammenbleiben. Vor allem müssen wir die Welt draußen warnen vor dem, was sich hier zusammenbraut.«
Herzog Krude lachte bitter auf. »Warnen? Wozu?«
»Damit sie sich wappnen können gegen die Kräfte des Bösen«, sagte Nyala. »Sie werden die Caer zurückwerfen und das Böse in der Welt vernichten.«
»Nichts vernichtet das Böse, es sei denn das Böse selbst«, sagte Herzog Krude dumpf. Es klang, als spreche ein anderer aus ihm. »Die Welt wird keine Aussicht haben, sich den Mächten zu widersetzen, die sich in Gianton tummeln.«
»Wir dürfen nicht verzagen, Vater.«
»Ich verzage nicht, Kind. Ich sehe, was ist, und denke darüber nach. Es gibt keine Rettung für die anderen. Sie ahnen ja nicht einmal, über welche Waffen des Grauens das Böse verfügt. Und die Lehensleute der Caer und des obersten Dämonenpriesters Drudin sind fürwahr treu. Sieh dir Coerl O'Marn an! Er ist zum Feind übergelaufen.«
Nyala presste die Lippen aufeinander. Nicht, dass sie sich etwas von der Hilfe O'Marns erwartet hätte, aber es bedrückte sie, dass solche Männer so schnell und gründlich die Fronten wechselten.
Als habe er auf sein Stichwort gewartet, erschien Coerl O'Marn in der Tür, die schnell geöffnet worden war.
Nyala stellte fest, dass er seine Rüstung nicht mehr trug. Statt dessen wurde sein Körper von jenem schlangenhäutigen Bußgewand eingehüllt, das auch Herzog Krude und seine Töchter einhüllte.
»Was willst du?« fragte Nyala.
Mit seltsam fremd klingender Stimme, ausdruckslos, antwortete Coerl O'Marn: »Ihr werdet erwartet. Kommt und folgt mir!«
»Zu wem? Wer wartet auf uns?«
»Drudin!«
*
Mythor leckte sich über die Lippen.
»Aufgeregt? Ängstlich?«
»Beides, Buruna«, bekannte Mythor leise. Er hatte in der Nacht kaum geschlafen. Er war in den letzten Nächten ganz allgemein wenig zum Schlafen gekommen; daran war Buruna schuld. In dieser Nacht aber hatte Mythor aus anderen Gründen kein Auge schließen können.
Der Tag des Vollmonds war angebrochen. Der Morgen dieses Tages dämmerte herauf. In weniger als einer Stunde sollte sich das Schicksal des Barbaren vollenden.
»Nottr!« stieß Mythor hervor. Es klang wie eine Beschwörung.
Jemand klopfte.
»Herein!« rief Mythor. Ein Krieger erschien. Das Wappen wies ihn als Gefolgsmann des Grafen Corian aus.
»Mein Herr lässt dir mitteilen, du möchtest an seinem Frühstück teilnehmen«, sagte der Krieger. Er rollte wild mit den Augen, vermutlich weil es Buruna nicht für nötig erachtete, sich zu bedecken.
»Ich werde kommen«, sagte Mythor.
Der Soldat nickte und zog sich wieder zurück.
»Ich habe keine andere Wahl«, sagte Mythor. Er presste die Lippen aufeinander. »Wir sehen uns später.«
Buruna lächelte und nickte. Mythor nahm sein Schwert und gürtete es. Dann trat er hinaus.
Es war noch grauer Morgen, nebeldurchtränkt, kalt und klamm. Kein schöner Tag zum Sterben. Aber welcher Tag war überhaupt gut genug dafür?
Langsam schritt Mythor über die taufeuchten Steine des Wehrgangs dem Burghof zu. Die Burg war erst zum Teil erwacht. Die niederen Dienstboten waren schon an der Arbeit, die höheren
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