Mythor - 036 - Die Inseln der Verfemten
und zugleich verfahren.
Es galt, einen Weg zu finden, der aus diesem Dilemma herausführte.
*
»Das sieht gar nicht gut aus«, sagte Ghuer grimmig.
Kaschkas zuckte nur mit den Achseln.
Die Wunde war tief, das Weiße des Knochens schimmerte hervor, aber der Cirymer verbiss den Schmerz – er hatte es von klein auf nicht anders gelernt. Wunden wie diese gehörten zum Leben eines Cirymers, und es war dies auch nicht das erste Mal, dass Kaschkas verwundet worden war.
Ghuer packte feuchtes Moos auf den Wundspalt und wickelte dann einen breiten Tuchstreifen um das Bein. Der Saft des Mooses brannte entsetzlich in der Wunde, aber auch diesen Schmerz ertrug Kaschkas ohne Wimpernzucken.
»Dafür werden sie mir büßen«, sagte der Cirymer.
»Du musstest sie ja nicht angreifen«, sagte Ghuer kalt. Er schloss den Verband. »Jetzt versuche aufzustehen!«
Kaschkas stützte beide Hände auf die Lehnen seines Sessels, als er sich behutsam erhob. Das rechte Bein war unverletzt und trug einstweilen die ganze Last des Körpers. Sehr vorsichtig trat der Cirymer auch mit dem verletzten linken Bein auf. Auf seinem Gesicht erschienen feine Schweißtropfen. Der Schmerz trieb sie hervor; außer diesem Zeichen war nichts zu erkennen. »Es wird gehen«, sagte er. »Und es wird reichen, dem Halunken, dem ich diese Blessur verdanke, mit eigener Hand den Schädel zu spalten, wenn er mir wieder vor die Klinge kommen sollte.«
Langsam humpelte er aus seinem Zelt.
Es war später Nachmittag. Bald würde die Sonne untergehen. Die Krieger der Cirymer hatten sich von der verlorenen Schlacht wieder erholt; sie hatten geschlafen, gegessen und vor allem durch fleißiges Trinken ihre Stimmung wieder gehoben.
Neben Kaschkas’ Zelt stand ein Posten.
»Wie sieht es bei denen aus?« fragte Kaschkas und machte eine Kopfbewegung auf das Lager der Coromanen zu.
Der Posten zeigte ein breites Grinsen. »Gut«, sagte er heiter. »Sie lecken ihre Wunden, die Hunde. Angreifen werden sie uns nicht.«
»Damit habe ich auch nicht gerechnet«, murmelte Kaschkas.
Er dachte an Mythor, den er nicht hatte bezwingen können. Diesem Kerl hatte er es auch zu verdanken, dass er jetzt wieder humpelte. Die Verwirrung seines Rückzugs hatte ein halbtoter Coromane dazu benutzt, dem unaufmerksamen Cirymer eine Speerspitze in das Bein zu jagen, und was noch schlimmer war, der Verletzte hatte es sogar fertiggebracht, sich Kaschkas’ Rache durch eilige Flucht zu entziehen. So war das Gefecht in doppelter Hinsicht eine Demütigung für Kaschkas.
Langsam schritt Kaschkas durch das Lager der Cirymer. Er gewöhnte sich an den Schmerz, und er schaffte es unter Aufbietung aller Willenskraft, fast so energisch aufzutreten, wie er es gewöhnlich tat, wenn er das Lager in Augenschein nahm.
Die Cirymer hatten die Niederlage offenbar noch nicht zur Gänze verdaut. Einige pflegten ihre Verletzungen, andere betrauerten gefallene Freunde und Gefährten, wieder andere schliefen einfach. Den meisten aber war anzusehen, dass sie sich über die schmähliche Flucht ärgerten.
Kaschkas wusste, dass er keine zweite Chance zur offenen Schlacht mehr bekam. Die Coromanen waren jetzt gewarnt, Kaschkas’ Trick würde kein zweites Mal mehr verfangen – er hatte beim ersten Mal ja schon nicht geklappt.
»Was machen wir jetzt, Kaschkas?« fragte einer der Zeltführer, ein Cirymer, der Kaschkas seine Stellung möglicherweise streitig machen konnte, wenn der Anführer der Cirymer weiterhin so erfolglos blieb wie in den letzten Tagen.
»Abwarten«, antwortete Kaschkas. »Im Augenblick sind wir zur Ohnmacht verdammt. Wir können die Coromanen nicht schlagen; sie werden es nicht wagen, uns in unserem Lager anzugreifen. Obendrein haben wir ja noch einen zweiten Gegner niederzukämpfen.«
Der Zeltführer zeigte ein ablehnendes Gesicht. »Es ist gut, dass du dich daran erinnerst«, sagte er und zog sich zurück.
Kaschkas hätte ihn am liebsten niedergeschlagen, durfte das aber im Lager nicht wagen. Es gab auch bei den wilden, als rücksichtslos verschrienen Cirymern Gesetze, die Kaschkas zu befolgen hatte, sogar er.
Missmutig blickte er zur Sonne hinüber, die gerade hinter dem Hügel zu versinken begann.
An Abenden wie diesem erwarteten seine Leute ganz bestimmte Vergnügungen. Dazu gehörte reichliches Essen, dazu gehörten scharfe Getränke im Unmaß, dazu gehörten Frauen, Gesang, wilde Spiele, manchmal ums Leben, ab und zu sogar um Ehre und Freiheit.
Spiele hatten die Cirymer genug.
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