Mythor - 044 - Piraten der Wüste
nach vorn. Einige besonders hasserfüllte Männer durchbrachen plötzlich die Sperre und stürmten auf Tashan zu, um dem Piraten eigenhändig den Hals umzudrehen. Aber die Wachtruppe reagierte rasch. Schwerter blitzten auf, Schilde wurden demonstrativ hochgerissen, Bögen gespannt. Das brachte die Wütenden zur Vernunft, aber nun waren es die Krieger, die sich Beschimpfungen gefallen lassen mussten, weil sie sich dazu hergaben, einen Verbrecher zu schützen.
»Setzt ihn in den Korb!« befahl Hrobon laut.
Der massige Pirat wehrte sich nicht gegen die zupackenden Männer, die ihn schließlich hochwuchteten und in den Transportkorb setzten. Auf ein Handzeichen Hrobons eilten die Bogenschützen zu ihren Orhaken, saßen auf, hielten die Bögen aber nach wie vor schussbereit. Tashan hatte keine Chance. Selbst wenn er seine Fesseln zerriss und den Diromo-Lenker angriff, um mit dem Laufvogel zu fliehen, wäre er noch im gleichen Moment mit Pfeilen gespickt worden.
In seinem Korb war er jetzt auch von den letzten Zuschauern gut zu sehen. Sein Körper straffte sich, und plötzlich sprach er.
Augenblicklich wurde es still. Sadagar erschauerte. Die Stimme, mit der Tashan sprach, klang eigenartig verzerrt, als wäre da noch mehr als nur die Kapuze. Und sie dröhnte über den ganzen Platz.
»Elendes Gesindel!« brüllte Tashan. »Hattet ihr wirklich geglaubt, mich halten zu können? Seht, schon bald werde ich wieder frei sein, und dann mögen die Götter euch gnädig sein! Denn ich bin der Träger der Macht!«
»Halte den Mund!« fuhr Hrobon ihn an.
Tashan lachte dröhnend. »Du, Hrobon, wagst es, große Töne zu spucken?« grollte er. »Auch du wirst dich noch wundern…«
»Woher kennst du meinen Namen?« fragte Hrobon schnell. »Wer hat ihn dir genannt?«
»Ich sagte doch, dass ich der Träger der Macht bin, Mann aus den Heymalländern«, schrie Tashan. »Ich weiß viel! Weit mehr, als du ahnst…«
Er wandte sich wieder der Menge zu. »Meine Macht wird euch erdrücken! Horai wird unter meiner Herrschaft zittern! Schon bald, elendes Gesindel. Flieht, solange ihr noch könnt!«
»Schluss jetzt!« schrie Hrobon ihn an. »Noch ein Wort, und dein Kopf rollt, auch wenn dadurch das Leben der Prinzessin gefährdet wird.«
Tashan kicherte höhnisch, aber er sagte für eine Weile nichts mehr. Er schien bemerkt zu haben, dass Hrobon es bitterernst meinte. Und Hrobon hatte tatsächlich nicht geblufft.
Sadagar presste die Lippen zusammen. Dafür, dass Tashan sich inmitten erbittertster Feinde befand und der Austausch noch gar nicht stattgefunden hatte, riskierte er tatsächlich eine recht vorlaute Sprache. Mit seinen Worten konnte er den Hass der Menschen gegen ihn nur noch weiter schüren.
Jener Offizier im Hintergrund hob jetzt beide Arme empor und stieß dann die geballten Hände nach vorn. »Aufbruch!« gellte der Befehl. Ein Ruck ging durch Vogelreiter. Die Tiere setzten sich in Bewegung.
»Wer ist dieser Mann?« fragte Sadagar den immer noch neben ihm reitenden Hrobon.
»Sadhy, der Kommandant der Festung«, presste der Heymal hervor. »Er hat hier den Befehl.«
Sadagar grinste. »Er hält sich ja recht gut zurück. Offenbar hat er das Kommando, aber du darfst die Verantwortung tragen, Hrobon. Merkst du was?«
»Ach, halte das Maul, alter Narr«, knurrte Hrobon verärgert und trieb sein Tier an.
Die beiden Diromen mit Tashan und Sadagar befanden sich jetzt nebeneinander, und wie der Zufall spielt, hingen die beiden Körbe einander zugewandt, so dass Sadagar Muße hatte, Tashan zu betrachten. Der Pirat murmelte etwas vor sich hin, was Sadagar nicht verstehen konnte. Aber wahrscheinlich waren es höhnische Beschimpfungen. Irgend etwas stimmt mit dem Burschen nicht, durchfuhr es Sadagar. Er beschloss, auf der Hut zu sein und diesen Piraten nicht aus den Augen zu lassen. Sadagar wurde das Gefühl nicht los, dass sich eine schwarze Wolke über ihnen zusammenbraute. Aber worin die Gefahr bestand, konnte ihm wohl nicht einmal der Kleine Nadomir zuflüstern.
*
Horai blieb hinter ihnen zurück. Hrobon lenkte den Zug durch die gesamte Stadt, vorbei an den unzähligen Zelten jener, die nur vorübergehend hier lebten und bald weiterreisten, vorbei an den Karawanen, die ganze Stadtviertel bildeten, und zwischen den großen Märkten hindurch. Draußen vor der Stadt ruhten die mächtigen Yarls der wandernden Nomadenstädte, die hier haltmachten. Sadagar entsann sich, dass Mythor in einer solchen Wanderstadt aufgewachsen war. In
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