Mythor - 044 - Piraten der Wüste
»Du kannst froh sein, dass du dich frei an Bord bewegen kannst. Erlaube dir nicht zu viele Frechheiten, es könnte sonst sein, dass du in Ketten gelegt wirst.« Der Letzte der Rafher, dessen Volk sich zu einem Deddeth vergeistigt hatte, um auf diese Weise den Kräften des Lichts zu dienen, musterte Ashorro missmutig. Der Pirat stand Jassam in seiner Verschlagenheit und Brutalität kaum nach, und wenn es nach seinem Aussehen ging – wenn No-Ango sich einen Dämon in der Gestalt eines Menschen vorstellen konnte, so hatte Ashorro genau dieses Aussehen. Aber er war nicht dämonisiert. Lediglich seine Bösartigkeit und sein finsteres Aussehen waren geradezu dämonisch.
»Warum habt ihr uns mitgenommen?« fragte No-Ango erneut.
Ashorro musterte den jungen Rafher überlegend. »Es kommt darauf an, wie die Verhandlungen verlaufen. Ihr könntet ein gutes Druckmittel oder auch gute Sklaven werden.«
»Bestie!« fauchte No-Ango.
Ashorro lachte meckernd. »Was hattest du denn erwartet, Knabe?«
No-Ango lief dunkel an. Er zählte stattliche siebzehn Sommer, und bei seinem Volk hatte er seit einiger Zeit das Amt eines Kundschafters eingenommen. Doch das war nun längst vorbei. Die Rafher gab es nur noch in Form eines Deddeths, und No-Ango hatte sich nur deshalb nicht der Gemeinschaftsintelligenz anschließen können, weil er ein waches Auge auf Mythor zu halten hatte. Sein Pech oder Glück? Er wusste es nicht zu sagen. Aber zuweilen empfand er Bedauern darüber, dass er nicht der geistigen Einheit angehörte, zu der sein Volk zusammengeschmolzen war.
»Nenn mich nicht Knabe, elender Pirat, oder du wirst es irgendwann bereuen«, zischte er.
Im ersten Moment wollte Ashorro auflachen. Doch dann gefroren seine Gesichtszüge förmlich. Er sah in No-Angos Augen und erkannte die Drohung darin. Hastig entfernte er sich. Dieser No-Ango war gefährlich! Es war vielleicht doch besser, ihn fesseln zu lassen…
No-Ango starrte dem davoneilenden Piraten mit verengten Augen nach. »Die Schatten sollen dich fressen…«, murmelte er.
Dann ging ein jäher Ruck durch seinen Körper. Er verließ das Achterkastell des Salzseglers und lenkte seine Schritte zu den im Mittelteil befindlichen Decksaufbauten hinüber. Er wollte sich ein wenig mit Mythor unterhalten.
*
»So also sieht es aus«, murmelte der Sohn des Kometen nachdenklich. »Druckmittel oder Sklaven.«
Sie hatten sich von der Kajüte der Prinzessin entfernt. Shezad hatte sich zurückgezogen und versuchte, die Erinnerung an die Erzählung Baudis zu verdrängen. Baudi selbst war irgendwo unter Deck verschwunden.
»Ja, so sieht es aus«, wiederholte No-Ango. Der Rafher hatte sich im Schneidersitz auf den Decksplanken niedergelassen. »Ich nehme deshalb an, dass sie uns einigermaßen in Ruhe lassen werden, auch wenn wir die Warze des Haghalon erreicht haben. Nur werden wir dort nicht mehr über die Bewegungsfreiheit verfügen, die wir jetzt haben.«
Mythor nickte.
»Wann etwa, schätzt du, werden wir ankommen?« fragte No-Ango.
»Baudi, ein Pirat, hat es mir gesagt«, verriet der Sohn des Kometen. »Morgen gegen Mittag. Wir werden zwischendurch ein Nachtlager aufschlagen. Ich weiß zwar nicht, warum Jassam nicht während der Nacht fahren lassen will, aber er wird wohl seine guten Gründe dafür haben. Wenn es dunkel wird, halten die Segler an.«
Er machte eine kurze Pause. »Vielleicht will Jassam auch nicht zu früh ankommen. Vielleicht fürchtet er sich vor dem Geist des Haghalon.« Er berichtete No-Ango in knappen Worten, was er von Baudi erfahren hatte.
»Du könntest recht haben«, gestand No-Ango. »Piraten sind meistens sehr abergläubisch, und vielleicht geht dieser Geist dort tatsächlich um. Wer kann es mit Sicherheit sagen? Hast du schon einen Plan?«
Mythor zuckte mit den Schultern. »Nichts Genaues. Vielleicht ergibt sich während des Nachtlagers eine Gelegenheit.«
»Ich glaube nicht daran«, gab No-Ango zurück. Er sollte recht behalten.
*
Nicht viel später trat Jassam aus einer der Decksaufbauten heraus. In ihr musste sich die Kapitänskajüte und vielleicht auch der Steuerraum des Salzseglers befinden. Jassam streckte die Arme aus und erteilte lautstark Befehle.
Die großen Segel fielen. Fast im gleichen Augenblick wurde die Tashans Ehre merklich langsamer und schlitterte auf ihren Kufen auf ihren Ruhepunkt zu. Auch die anderen Segler refften die Segel und glitten mit dem Rest ihrer Geschwindigkeit weiter, bis die Reibung der Kufen auf der Salzfläche
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