Mythor - 054 - Vina, die Hexe
auch frischer und erholter als am vergangenen Tag.
»Wir müssen weiter«, erinnerte eri selbst zur Überraschung der beider anderen. »Die Wasserenge zwischen den Inseln ist nicht mehr fern. Ich spüre es.«
Mythor hob nur die Brauen. Etwas an Oniak gefiel ihm nicht. Der Umschwung war zu rasch gekommen. Warum wirkte der kleine Mann jetzt so lebhaft?
Und - war es wirklich die Nähe der anderen Insel, die er spürte? Oder war da noch etwas anderes im Spiel? Der Sohn des Kometen beschloß, ein sehr wachsames Auge auf Oniak zu haben.
»Gehen wir«, bestimmte er.
*
Gerrek schloß seine Augen, öffnete sie wieder, aber das Bild hatte sich in der Zwischenzeit nicht verändert. Die beiden riesigen Augen waren immer noch da.
»Gut Freund«, murmelte Gerrek »Wer bist du und wie kommst du hier hinauf?«
Der Besitzer dieser Augen schien den Beuteldrachen nicht einer Antwort für würdig zu befinden. Der Beuteldrache gähnte herzhaft, rieb sich die Augen und sah genauer hin.
Er erschrak.
Im Schlaf war er bis an den Rand der Felsplatte gerollt. Eine weitere Umdrehung hätte bereits genügt, ihn in die Tiefe stürzen zu lassen, die er an Abend zuvor so mühselig erklommen hatte. Es ging sehr steil und sehr tief hinunter.
Und die beiden großen Augen waren keine Augen, sondern Blätter. Sie gehörten zu einem palmenartigen Baum, den er in der Nacht nicht gesehen hatte und der dicht am Felshang emporwuchs, dabei aber an seinen Palmwedeln noch vereinzelt kleinere Blätter trug - eben die, die Gerrek für Augen gehalten hatte.
Er sprang auf und wich ein paar Schritte zurück. Der Baum reagierte nicht darauf. Vielleicht gehörte er zu der Sorte Pflanzen, die etwas weniger blutrünstig waren.
Als nichts geschah, kam Gerrek wieder näher. Er streckte die Hand aus und berührte eines der Blätter. Wieder erfolgte kein Angriff. Also beschloß der Beuteldrache, sich des Baumes zum Abstieg zu bedienen. Sich mit seinen Krallen in die Rinde einhakend, bewegte er sich nach unten, stets mißtrauisch nach oben zu den Palmwedeln spähend, ob diese es sich nicht doch noch anders überlegten.
Doch er kam unbeschadet nach unten.
Zuvor hatte er aus der Höhe noch eine Entdeckung gemacht. Die Richtung, in die er sich bewegt hatte, war richtig gewesen, und er hatte es gestern fast geschafft.
Nur ein paar Steinwürfe entfernt lagen zwischen spitzen Felszacken Reste eines Gestells, das einmal ein Flugdrachen gewesen sein konnte.
5.
Schlanke Gestalten glitten durch das Wasser. Sie bewegten sich schnell und geschmeidig. Hin und wieder wagte sich eine von ihnen weiter vor. Glitzernde, kalte Augen verschickten Blicke, die einen Menschen hätten frösteln lassen, wenn er ihrer gewahr geworden wäre.
Sie warteten auf etwas.
Die Zeit verrann. Mit raschen Bewegungen huschten die Gestalten durch die Fluten, führten hin und wieder kurze Scheinkämpfe durch, um ihre Kraft und Schnelligkeit zu erproben. Scharfe Hornklingen blitzten für Augenblicke über dem Wasser auf, durchschnitten die wallenden Nebelbänke.
Plötzlich ging ein leichtes Zittern durch die Gestalten. Von einer war das verabredete Zeichen gekommen, auf das sie alle gewartet hatten.
Kein Wort fiel, kein Laut ertönte. Sie verständigten sich durch blitzschnelle Gesten miteinander.
Und verschwanden in den Fluten. Unter der Wasseroberfläche glitten sie lautlos und unsichtbar dahin. Nur die Nebelschwaden dicht über dem Wasser blieben zurück und verbargen die unheimlichen Wesen.
Ihre Opfer waren gekommen.
*
Oniak bewegte sich schneller als am vorigen Tag. Es war, als zöge ihn etwas vorwärts - etwas, das noch stärker war als der Drang, von dem Mythor erfüllt war. Und genau das war es, das den Sohn des Kometen mißtrauisch machte.
Er beobachtete Oniak weiter. Der Mann ging mit seinem verletzten Bein und dem Gehstock fast wie ein Gesunder, und zum erstenmal seit dem Absturz fiel es Mythor auch wieder auf, daß Oniak einen Dreizack mit sich herumschleppte. Er war neben Alton die einzige Waffe, die sie besaßen. Aber Oniak hatte sich in den Tagen vorher zu schwach gefühlt, sie zu benutzen, und ein Dreizack ist auch nicht sonderlich geeignet, sich damit gegen Pflanzen zur Wehr zu setzen. Sonderbarerweise war es Mythor gar nicht bewußt geworden, daß Oniak diese Waffe mit sich trug.
Aber jetzt fiel es ihm auf. Er sah auch, wie stark sich die Hand des Mannes um den Schaft der Waffe krallte, als wolle er sie niemals wieder loslassen.
»Was
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