Mythor - 054 - Vina, die Hexe
hinüber?«
Sein ausgestreckter Arm wies auf die schmalste Stelle der Felsenbrücke. Sie schwebte etwa zwei Mannslängen hoch über einer Felsenplatte am anderen Ufer, wie Mythor schätzte. Ganz genau ließ es sich nicht sagen; das jenseitige Ufer war zu weit entfernt. Es ragte steil auf und bestand aus ineinander verschachtelten Felsblöcken und -platten. Auf dieser Seite ragte ein im Grunde nicht ganz in die Landschaft passender Felsklotz, einer Pflugschar ähnlich, aus dem Boden hoch und zeigte mit seiner spitzen Nase hinüber zum anderen Blutigen Zahn. Dabei verjüngte sich diese Spitze als Felsenbrücke immer mehr, bis sie zum Schluß nur noch fußbreit sein konnte.
»Wir können froh sein, daß wir nicht von der anderen Seite nach hier müssen«, murmelte der Sohn des Kometen.
»Es gibt zwei andere Möglichkeiten, hinüberzukommen«, stellte die Feuergöttin mit leicht spöttischem Unterton fest. »Die eine besteht darin, daß wir hinüberschwimmen und dabei von den Fischköpfen umgebracht werden. Die zweite Möglichkeit ist, daß wir zurückgehen, den Flugdrachen reparieren und mit ihm durch die Lüfte segeln.«
Mythor grinste.
»Bei passender Gelegenheit werde ich dich irgendeinem Herrscher empfehlen - als Spaßmacherin. Vielleicht Luxon, wenn es ihm gelingt, Shallad zu werden…«
»Du redest seltsam«, murrte Ramoa. »Ich verstehe dich nicht.«
Das jungenhafte Grinsen des Kriegers wurde noch stärker. »Das ist eigentlich kein Wunder«, stellte er fest. »Du bist eben eine Frau.«
»Narr«, sagte sie.
»Also schön, klettern wir auf den Felsen und wandeln hinüber wie ein Tänzer auf seinem Seil.« Er nickte ihr zu und schickte sich an, den Felsen emporzuklettern. Ramoa folgte ihm sofort. Nach kurzer Zeit standen sie am Anfang der Felsenbrücke.
Mythor sah zurück.
Nebel hing über der Insel. Aber unten, zwischen Büschen und Bäumen, die sich zu ihrer Überraschung ruhig verhalten hatten, bewegten sich etwas.
Sie kamen aus dem Unterholz hervor. Zwei, drei, fünf… insgesamt ein Dutzend Fischköpfe. Mit dem Sternenbogen hätte Mythor sie von hier oben auf Abstand halten können. Aber der Bogen lag wie der Rest seiner mühsam erworbenen Ausrüstung auf dem Meeresgrund. Vielleicht tauchten irgendwann Teile wieder auf, wie Alton im Körper eines großen Fisches wieder aufgetaucht war, aber das war zu unwahrscheinlich. Einen Zufall dieser Art mochte es geben, aber bestimmt keinen zweiten.
»Sie können nicht gut klettern«, sagte Ramoa. »Die Masken sind zu schwer und behindern sie.«
»Dein Wort in Erins Ohr«, murmelte Mythor. »Los, laß uns hinüberwechseln, ehe sie trotz ihrer Behinderung heraufkommen.«
Und entschlossen tat er den ersten Schritt auf die Felsenbrücke hinaus.
*
Was weder Mythor noch Ramoa in der Eile ihres Hinaufsteigens gesehen hatten und von oben, von der Felsenbrücke aus, auch nicht mehr bemerken konnten, war, daß diese lange Felsnase, die wie ein Schwert hinüberragte zur nächsten Insel, gar nicht so fest war, wie es bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein hatte. Wie drüben, waren hier Teile des Felsens nur locker ineinandergeschachtelt. Und solch ein Teil war diese Brücke, die an ihrem Anfang noch zwei Mannslängen breit war und dann zusehends schmaler wurde.
Aber die Fischköpfe sahen es.
Befehle wurden erteilt. Seltsame Laute ertönten. Dann begannen einige der Wesen, von denen Ramoa behauptet hatte, sie könnten nicht gut klettern, mit ihrer Arbeit. Weitaus geschickter, als die Feuergöttin es ihnen mit ihren schweren Kopfmasken zugetraut hatte, turnten sie an der steinernen Pflugschar empor und begannen daran zu arbeiten und zu zerren. Sie begannen Steine und größere Felsteile zu lockern.
Andere Fischköpfe glitten ins tiefe Wasser. Es dauerte nicht lange, und das Wasser unter der Felsenbrücke begann zu brodeln. Einige Dutzend dieser gefährlichen Wesen, die einmal Menschen gewesen waren, machten sich bereit, über ihre Opfer herzufallen, sobald…
Sobald der Brückenfelsen in die Tiefe stürzte!
*
»Er zittert«, sagte Ramoa plötzlich.
Leicht irritiert verharrte Mythor und wandte sich nach dem Tau-Mädchen um. »Wer?« fragte er.
»Der Fels«, sagte sie. »Ich spüre es. Er hat sich bewegt.«
Sie hatten etwa die Mitte der Brücke erreicht, die jetzt immer schmaler wurde. Mythor sah zu »Boden«. Mit seinen Fellschuhen war er nicht so empfindlich wie die barfüßige Feuergöttin.
»An unserem Gewicht kann es doch
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