Mythor - 067 - Krieg der Hexen
Er fragte sich, wie er sich verhalten würde, wenn er sich plötzlich einer lebensbedrohenden Gefahr gegenübersähe. Der Gedanke entsetzte ihn, denn er glaubte, daß er in seinem augenblicklichen Zustand hilflos wäre, sich seiner Haut nicht wehren könnte. Denn die Sendungen der Liebe verdrängten nicht nur alle niederen Gefühle, sondern sie nahmen ihm auch die Widerstandskraft.
Mythor sprach seine Bedenken laut aus, um auf diese Weise seine Freunde und sich selbst wachzurütteln.
»Was wäre, wenn uns hier ein Todfeind begegnete«, sagte er. »Angenommen, dir stünde plötzlich Burra gegenüber, Scida. Oder du, Lankohr, würdest von Yacub angegriffen werden. Sagt ehrlich, ob ihr in der Lage wäret, euer Leben zu verteidigen.«
Nach kurzem Zögern sagte Scida: »Nein, ich glaube nicht… Wie schrecklich!«
Lankohr ließ sich mit der Antwort länger Zeit.
»Abgesehen davon, daß ich dieser vierarmigen Bestie ohnehin nicht gewachsen wäre«, sagte der Aase, »würde ich wahrscheinlich nicht einmal davonlaufen. Ich würde darauf bauen, daß Ambe auch die Dämonenbestie befriedet hat. Was für eine entsetzliche Vorstellung! Ich würde eine leichte Beute für Yacub sein.«
»Seht ihr jetzt, warum wir uns gegen diesen falschen Zauber wehren müssen!« rief Mythor, froh darüber, seinen Freunden die möglichen Gefahren dieses geradezu widernatürlichen Zustandes aufgezeigt zu haben. »Wir dürfen uns von Ambe nicht unterkriegen lassen. Wir müssen ihr klar machen, daß wir ihre Verbündeten sind und sie uns nur schadet, wenn sie uns beeinflußt.«
»Das wird sehr schwer sein«, sagte Lankohr. »Denn Ambe glaubt an die Allmacht der Liebe.«
»Was weißt du noch über sie?« fragte Mythor. »Ambe scheint mir eine wirklichkeitsfremde Träumerin zu sein. Denn das Leben ist ein steter Kampf, der nicht unbedingt mit dem Schwert ausgefochten werden muß.«
»Du hast Ambe richtig erkannt«, sagte Lankohr. »Sie hängt tatsächlich dem Traum nach, daß alle Probleme der Welt mit Liebe und Güte gelöst werden können. Sie lebt nur für das Gute im Guten, läßt nur das Schöne im Schönen gelten. Ambe verabscheut selbst die geringsten Abweichungen von dieser Linie, sie versteht nicht einmal, daß man zum Selbstschutz kämpft. Sie meint, daß das Schöne und Gute durch sich selbst zum Sieg kommen. Solche Auswüchse, wie sich die Hexen und Kriegerinnen der Zaem leisten, sind natürlich zu verdammen. Aber Ambe heißt nicht einmal die Verteidigungstaktik ihrer eigenen Zaubermutter gut. Ambe würde sich glatt besiegen lassen und in dieser Niederlage einen Triumph sehen. Sie selbst hat die Kraft, den eingeschlagenen Weg bis zum Ende durchzustehen. Doch vergißt sie darüber, daß andere, die nicht ihre Fähigkeiten haben, dabei auf der Strecke bleiben müssen. Und da wird es bedenklich.«
»Das meine ich auch«, sagte Mythor. »Der Garten, den uns Ambe vorzaubert, ist ein Spiegelbild ihrer Traum- und Gedankenwelt. Aber so ist nicht das Leben. Das müssen wir uns vor Augen halten.«
Mythor festigte seinen Entschluß, sich gegen die Einflüsterungen Ambes zu wehren. Da auch seine Freunde dazu bereit waren, glaubte er, daß sie es mit vereinten Kräften schaffen konnten.
Plötzlich erklang von links ein Stöhnen und Wimmern, das immer lauter wurde und zu einem vielstimmigen Wehklagen anhob. Mythor erkannte, daß es sich um fremdartige Laute handelte, die keiner menschlichen Kehle entstammten. Entschlossen zog er Alton und warf den Umhang über die Schulter, um freie Hand zu haben, falls es zum Kampf kam. Daraufhin, während er Kampfstellung einnahm, wurde das Wehklagen nur noch lauter.
Mythor blickte in die Richtung, aus der das Zetern kam, und sah ein turmhohes Pflanzengebilde, aus dem Hundert gelber Blüten leuchteten. Die Blüten erzitterten wie unter einer anhaltenden Brise, obwohl sich kein Lüftchen regte. Es war völlig windstill, und doch ging ein Rauschen durch den Riesenbusch und wurde zu einem anschwellenden Wehklagen.
Es waren diese Blüten, die stöhnten und wimmerten. Manche von ihnen verloren ihre Leuchtkraft, die Blütenblätter wurden braun, rollten sich ein, welkten.
Als Mythor einige Schritte näher trat, das Schwert Alton gezückt, da starb eine ganze Blütenkolonie ab, und ein häßliches braunes Loch bildete sich in dem Pflanzengebilde. Mythor trat zurück – und da schloß sich die Lücke durch sich rasch bildendes Geäst und Blätterwerk. Blütenknospen wuchsen, öffneten sich und leuchteten in
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