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Mythor - 068 - Traumland der Ambe

Mythor - 068 - Traumland der Ambe

Titel: Mythor - 068 - Traumland der Ambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlcek Ernst
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nistete, das Unkraut am Fuß des Baumstammes, die mörderische Insektenfresserblume… Leben, Leben, wohin man sah. Was für eine Wonne.
    Als mir Pryscas Besuch angekündigt wurde, schäumte ich vor Freude förmlich über. Ich erkannte sie schon von weitem an ihrer stolzen, würdevollen Erscheinung, und ich lief ihr mit wehendem Mantel entgegen. Ich umschlang sie und drehte mich mit ihr im Kreise, wie unbewegt sie auch blieb. Aber sie war nicht wirklich kühl, sondern schenkte mir ein freundliches Lächeln voll Wärme.
    »Wie gut dir der weiße Mantel steht, Prysca! Wann wirst du nun die Farben des Regenbogens tragen?«
    »Bis dahin ist es ein weiter Weg. Eine Zaubermutter hat große Verantwortung zu tragen und sich darum bis tief in ihr Wesen prüfen zu lassen.« Sie betrachtete mich mit verändertem Gesichtsausdruck, nicht mehr ernst, vielmehr wohlmeinend, anerkennend. »Auch dir steht die neue Haut gut. Aber nun erzähle mir deinen letzten Traum.«
    »Ich habe nicht geträumt.«
    »Dann ist es also wahr?«
    »Was soll’s, ich brauche keine Träume mehr, Prysca. Ich bin ohne sie des Lebens viel froher.«
    »Aber Vanga braucht deine Träume, Ambe. Suche mich wieder auf, wenn du mir einen Traum erzählen kannst.«
    Die Tage vergingen, wurden zu Wochen und Monden, ohne daß sich Prysca mir zeigte. Aber ich hatte solche Kurzweil, daß mir die Zeit ohne sie gar nicht lange erschien. Als sie mich dann wieder aufsuchte – es war am dreizehnten Tag des Krebsmondes, und der Winter stand bald ins Haus –, da erinnerte ich mich erst ihres Wunsches, meine Träume zu hören. Prysca war seit unserem letzten Zusammensein stark gealtert. Ihr Gesicht hatte viele neue Falten.
    »Sagte ich nicht, daß du mich aufsuchen sollst, um mir deinen neuesten Traum zu erzählen?«
    »Ich hätte dir nichts zu erzählen gehabt«, sagte ich bedauernd.
    »Du träumst nicht mehr, Ambe.« Es klang bekümmert. »Sollte dich Fronja etwa verstoßen haben?«
    »Wie das? Ich bin so glücklich wie nie zuvor, und ich sehe meinen Weg klar vorgezeichnet. Irgendwann, eines fernen Tages, werde auch ich den weißen Mantel tragen und bestimmt auch in die Farben des Regenbogens schlüpfen. Und ich weiß schon heute, was ich dann zu tun habe. Ich werde eine neue Ordnung…«
    »Du träumst, aber mit offenen Augen!« sagte Prysca zurechtweisend. »Solche Träume sind gefährlich, weil sie aus der Enge des eigenen Geists kommen und darum eingebildete Werte sind. Du bist aus deiner Puppe ausgeschlüpft, Ambe, aber mit deiner Puppe hast du leider nicht auch deine Eigenwelt abgestreift. Ich habe mich mit Zahda besprochen. Deine Zaubermutter verlangt, wenn Fronja dir keine Träume mehr schickt, dich zum Hexenstern zu schicken.«
    »Du verstößt mich?«
    »Nein. Aber ich habe mit meinen Aufgaben genug zu tun. Und am Hexenstern bist du Fronja näher und gleichzeitig unter der Aufsicht der Zahda und der anderen Zaubermütter. Zaem möchte dich kennenlernen.«
    »Die Schwertträgerin?«
    »Sie ist eine Zaubermutter, vergiß das nicht!«
    Noch am gleichen Tag stach die Goldsegel in See. Den Sonnenuntergang konnte ich leider nicht voll auskosten, weil die Seilklippen von Südgavanque sich davorschoben. Von Naudron bekam ich auch nicht viel zu sehen, nur ein paar Lichter der Hauptstadt Colonge, weil wir die Landenge zwischen den beiden Inseln nachts passierten. Als ich am nächsten Tag, schon in der ersten Morgendämmerung, an der Reling stand und mir die Augen nach Ascilaia aussah, verlachten mich die Seefrauen. Auch die Vulkaninsel mit der Hexenschule hatten wir in dieser Nacht passiert und näherten uns bereits dem nassen Grab.
*
    Wie gefestigt ich in meinem zweiten Leben war, zeigte sich daran, daß sich keine Schwermut bei mir einstellte und ich kein Heimweh bekam, obwohl ich von meinem Zuhause so weit weg war, wie noch nie zuvor. Die alte Ambe hätte sich unter diesen Bedingungen wahrscheinlich verpuppt.
    Aber ich genoß die Fahrt im eisigen Wind der Südgewässer und konnte mich an der endlosen Weite der Meere nicht sattsehen. Ich lernte die vielen Inseln und Inselchen, an denen wir vorbeikamen, nur aus der Ferne kennen. Doch las ich viel über sie und prägte mir alle ihre Namen ein. Einige Male kreuzten über uns Luftschiffe und flogen uns davon, und ich fragte die Kapitänsfrau Lysber, warum ich denn nicht auch auf diese schnellere Art reisen durfte, um früher am Hexenstern zu sein.
    »Eine lange Fahrt ist besinnlicher als ein kurzer Flug«, sagte die

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