Mythor - 087 - Der Hexenhain
stattlicher Mann, so groß wie ich, aber viel muskulöser; ich habe selbst nie etwas auf Körperertüchtigung gegeben, nicht einmal auf magische Schulung. Ich habe meinen Geist auf ganz andere Weise angeregt, habe ihn mit Wissen angereichert, habe alles wie ein Schwamm in mich aufgesogen, was ich über den Mann Caeryll erfahren konnte.
Dabei ist mir auch viel Wissen über geschichtliche Zusammenhänge zugeflossen, und ich erkenne nun immer deutlicher das Wechselspiel von Ursache und Wirkung. Auch das ist eine Art von Magie, oder sagen wir, das Erkennen gewisser ordnenden Regeln und Gesetze ist die Grundlage jeder Magie. Doch diese Kenntnisse habe ich mir nur nebenbei erworben.
Ich betrachte ihn immer noch. Er ist nicht nur stark, sondern auch klug, er weiß bloß noch so wenig. Ich könnte seine Lehrmeisterin sein und ihn auch im Geist groß machen.
Sein Name allein ist Verheißung: Mythor. Als ich ihm gegenüber andeutete, daß er in einem früheren Leben Caeryll gewesen sein könnte, tat ich es in der Hoffnung, in ihm schlummernde Erinnerungen zu wecken. Aber er zeigte nur Erstaunen, war verwirrt.
Das mag alles mögliche bedeuten, aber es beweist überhaupt nichts. Er ist jedenfalls ein interessanter Mann. Ich muß ihm näherkommen und ihn mehr für mich einnehmen. Im Grunde genommen ist er ein Forscher wie ich, darum muß ich ihm Wissen in kleinen Portionen verabreichen, um seine Neugierde zu wecken und mich für ihn unentbehrlich zu machen. Ihn magisch an mich zu fesseln, davon halte ich nichts. Mir fehlt auch die Gabe für einen wirksamen Nestelzauber.
»Hast du dir die Schriftrollen angesehen?« frage ich ihn.
»Ja«, antwortet er. »Ich habe den Bericht gelesen, in dem du die Beschaffung von Caerylls Ring beschreibst. Damit ist doch dieser Siegelring gemeint, oder?«
»Ja. Hast du einmal einen ähnlichen Ring besessen? Oder kommt er dir wenigstens bekannt vor? Hast du in deiner Welt schon einmal einen solchen gesehen?«
»Nein«, sagt er. »Ich habe ein solches Siegel noch nie gesehen. Weißt du, was es bedeutet?«
Ich bin ein wenig enttäuscht; wieder ein Geheimnis, das mir verschlossen bleibt. Kann er mir überhaupt helfen? Wie soll er es, wo er gar nichts weiß! Aber er ist allein durch seine Herkunft wertvoll für mich.
»Sagen dir die anderen Gegenstände etwas, die in diesem Fach liegen?« frage ich.
Er schüttelt den Kopf.
»Sie sehen sehr alltäglich aus. Ich habe keinerlei Beziehung zu ihnen.«
Das darf mich nicht wundern, manche der Relikte erscheinen selbst mir zweifelhaft. Aber das Schwert könnte Caeryll gehört haben. Ich spreche Mythor darauf an, und er sagt:
»In meiner Welt werden in manchen Gebieten solche geraden Schwerter verwendet, besonders in den nördlichen Ländern. In Tainnia etwa, in Herzogtum Caer. Aber vermutlich dachte ich an die Caer, weil mich der Name Caeryll an sie erinnert.«
»Ah«, mache ich. Da ist ein erster Hinweis, und ich hoffe, daß Mythor mehr dazu zu sagen hat. Aber er meint nur:
»Allerdings sind fünfhundert Jahre eine unvorstellbar lange Zeit, und ich weiß nicht einmal, ob es damals schon Caer gab und ob sie Waffen dieser Art hatten.«
»Es ist nicht so wichtig«, meine ich. »Ich kann mir vorstellen, daß eure Welt eine wilde ungeordnete ist. Es gibt wohl kaum Kriegsväter bei euch, die mit unseren Zaubermüttern zu vergleichen wären.«
»Nicht in jenem Teil der Welt, aus dem ich komme. Das Land ist unter vielen Herren aufgesplittert, und es droht, den Dunkelmächten anheimzufallen…«
Er verstummt und wird nachdenklich.
»Du hast Heimweh?« Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.
Er strafft sich und sagt: »Ich kehre bestimmt wieder zurück. Aber zuerst muß ich noch einiges in Vanga regeln. Ich habe eine Mission zu erfüllen, eher kann ich nicht an eine Rückkehr denken.«
Ich muß unwillkürlich lachen, aber als ich sein finsteres Gesicht sehe, werde ich wieder ernst.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht auslachen. Aber du scheinst dir alles zu einfach vorzustellen, als glaubtest du, die Welt mit deiner Muskelkraft aus den Angeln heben zu können.«
Er beißt sich auf die Lippen.
»Du zweifelst an mir«, stellt er fest. »Doch darauf kommt es nicht an. Wichtig ist, daß ich selbst an mich und meine Ziele glaube.«
So hätte Caeryll sprechen können. Vielleicht hätte er vor dreieinhalb Großkreisen mehr Erfolg gehabt, wenn er nicht an die Schwarze Mutter geraten wäre. Er muß seinen Fehler eingesehen haben, aber er ist
Weitere Kostenlose Bücher